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Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Von Seiner Heiligkeit A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada

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85. Kapitel: Die Entführung Subhadras und Sri Krsnas  Besuch bei Srutadeva und  Bahulasva



Nachdem König Pariksit gehört hatte, wie Sri Krsna Devakis sechs tote Söhne zurückgebracht hatte, wurde er noch begieriger, über Krsna und Seine transzendentalen Spiele zu hören, weshalb er Sukadeva Gosvami fragte, wie seine Großmutter Subhadra auf Anraten Sri Krsnas hin von seinem Großvater Arjuna entführt wurde. König Pariksit brannte darauf zu erfahren, was es mit dieser Entführung auf sich hatte und wie es in der Folge zur Heirat zwischen seinem Großvater und seiner Großmutter gekommen war.

So erzählte Sukadeva Gosvami die folgende Geschichte: "Es begab sich einst, daß dein Großvater Arjuna, der große Held, mehrere heilige Pilgerorte besuchte, und während er so durch die Lande zog, kam er auch nach Prabhasaksetra. Dort erfuhr er, daß Sri Balarama dabei war, für Subhadra, die Tochter von Vasudeva, Arjunas Onkel mütterlicherseits, eine Heirat in die Wege zu leiten. Obwohl ihr Vater, Vasudeva, und ihr Bruder, Krsna, nicht einverstanden waren, hatte Balarama die Absicht, Subhadra mit Duryodhana zu verheiraten. Jedoch begehrte auch Arjuna Subhadras Hand."

Wie Arjuna nun an Subhadra und ihre Schönheit dachte, wurde in ihm der Wunsch, sie zu heiraten, immer stärker, und so legte er sich einen bestimmten Plan zurecht und verkleidete sich als Vaisnava-sannyasi mit einem tridanda in der Hand. Der Mayavadi-sannyasi trägt einen ekadanda, einen einfachen Stab, wohingegen der Vaisnava-sannyasi einen tridanda trägt, der aus drei Stäben oder dandas zusammengebunden ist. Diese drei Stäbe des tridanda bedeuten, daß der Vaisnava-sannyasi gelobt, der Höchsten Persönlichkeit Gottes mit Körper, Geist und Worten zu dienen. Das System des tridanda-sannyasa gibt es schon seit langer Zeit, und die Vaisnava-sannyasis werden demgemäß tridandis und manchmal auch tridandi-svamis oder tridandi-gosvamis genannt.

Die Aufgabe der sannyasis besteht gewöhnlich darin, durch das Land zu ziehen und zu predigen, doch während der vier Monate langen Regenzeit Indiens (September bis Dezember) unterbrechen sie ihre Reisen und verweilen für diese Zeit im Schutz eines bestimmten Ortes. Die Zeit, während der die sannyasis nicht reisen, wird caturmasya-vrata genannt. Die Einwohner des Ortes, in dem sich ein sannyasi während dieser vier Monate aufhält, nutzen seine Anwesenheit, um spirituellen Fortschritt zu machen. Arjuna blieb also in der Verkleidung eines tridandi-sannyasi für diese vier Monate in der Stadt Dvaraka und überlegte sich währenddessen, wie er Subhadra zur Frau bekommen konnte. Die Bewohner von Dvaraka und selbst Balarama bemerkten nicht, daß der vermeintliche sannyasi Arjuna war, und so begegneten sie ihm mit großer Achtung und erwiesen ihm ahnungslos ihre Ehrerbietungen. Eines Tages lud Balarama diesen sannyasi zu einem Gastmahl in Seinem Hause ein. Balaramaji bot ihm voller Achtung die verschiedensten Köstlichkeiten an, und der vorgebliche sannyasi ließ sich nicht zweimal bitten und tat sich an all diesen Speisen gütlich. Während des ganzen Essens jedoch blickte Arjuna ständig nur zur hübschen Subhadra hinüber, die sogar die großen Helden und Könige bezauberte. Arjunas Augen erstrahlten vor Liebe zur ihr, und je länger er sie anschaute, desto mehr leuchteten seine Augen. Er faßte insgeheim den Entschluß, Subhadra auf irgendeine Weise zur Frau zu bekommen, und all seine Gedanken drehten sich nur noch um diesen brennenden Wunsch. Arjuna, der Großvater Maharaja Pariksits, war ebenfalls von außergewöhnlicher Schönheit, und seine körperliche Erscheinung übte eine starke Anziehung auf Subhadra aus. So beschloß auch sie ihrerseits, niemanden außer Arjuna zum Gemahl zu nehmen. Weil sie ein Mädchen von unbeschwerter Natur war, erwiderte sie Arjunas Blicke, indem sie einfach mit einem vergnügten Lächeln zu ihm hinüberschaute. Dadurch flammte Arjunas Liebe nur noch stärker auf, und weil er verstand, daß Subhadra ihm ihr Herz geschenkt hatte, beschloß er, sie zu heiraten, koste es, was es wolle. Von da an konnte er vierundzwanzig Stunden am Tag an nichts anderes mehr denken als daran, wie er Subhadra zur Frau bekommen konnte. Dieser Gedanke drängte ihn so stark, daß er keinen Augenblick mehr Ruhe fand.

Schließlich begab es sich, daß Subhadra auf einem Wagen aus dem Palast fuhr, um die Tempel der Halbgötter zu besuchen. Diese Gelegenheit ließ sich Arjuna nicht nehmen, und mit Vasudevas und Devakis Erlaubnis entführte er Subhadra, indem er auf ihren Wagen sprang, kampfbereit seinen Bogen in die Hand nahm und mit den Pfeilen alle Soldaten, die ihn aufhalten sollten, abwehrte. Als Subhadra so von Arjuna geraubt wurde, brachen ihre Verwandten und Familienmitglieder in lautes Wehgeschrei aus, doch Arjuna führte sie unbeirrt davon, genau wie ein Löwe, der sich seinen Anteil holt und dann verschwindet. Als Balarama berichtet wurde, daß der vermeintliche sannyasi niemand anders als Arjuna gewesen war, der sich einfach nur verkleidet hatte, um Subhadra zu entführen, wurde Er sehr zornig. Gleich den Wogen des Meeres an einem Vollmondtag geriet Balaramas Gemüt in Aufruhr.

Doch Sri Krsna stand auf Arjunas Seite; deshalb versuchte Er zusammen mit anderen Familienmitgliedern, Balarama zu besänftigen, indem Er Ihm zu Füßen fiel und Ihn anflehte, Arjuna zu verzeihen. Schließlich konnte Sri Balarama davon überzeugt werden, daß Subhadra Arjuna liebte, und so war Er erfreut, als Er erfuhr, daß es ihr Wunsch gewesen war, Arjuna zum Gemahl zu bekommen. Auf diese Weise wurde die ganze Angelegenheit friedlich beigelegt. Weil Balarama dem neuvermählten Paar eine Freude machen wollte, ließ Er ihnen eine riesige Mitgift zukommen, die aus großen Reichtümern, Elefanten, Streitwagen, Pferden, Dienern und Dienerinnen bestand.

Maharaja Pariksit verlangte es sehr danach, noch mehr über Krsna zu hören, und so erzählte Sukadeva Gosvami, nachdem er berichtet hatte, wie Arjuna Subhadra entführte, eine weitere Geschichte.

Es lebte einst ein Haushälter-brahmana in Mithila, der Hauptstadt des Königreiches Videha. Dieser brahmana - er hieß Srutadeva - war ein großer Geweihter Sri Krsnas. Weil er völlig Krsna-bewußt war und sich ständig in Krsnas Dienst beschäftigte, führte er ein friedvolles Leben und war frei von aller materiellen Anhaftung. Dazu kam, daß er sehr gelehrt war, und er wünschte sich nichts anderes, als vollkommen im Krsna-Bewußtsein verankert zu sein. Obwohl er im Haushälterstand lebte, unternahm er niemals große Anstrengungen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen; er war mit dem zufrieden, was er ohne zusätzliche Mühen bekam, und so bestritt er irgendwie sein Leben. Jeden Tag besorgte er gerade das, was zum Leben unbedingt notwendig war, und nichts mehr. Das war seine Bestimmung. Der brahmana wünschte sich nichts anderes, als er unbedingt brauchte, und so folgte er in allem Frieden den regulierenden Prinzipien, wie sie den brahmanas von den offenbarten Schriften vorgeschrieben werden. Glücklicherweise war der König von Mithila ein ebenso erhabener Gottgeweihter wie dieser brahmana. Der Name dieses berühmten Königs lautete Bahulasva. Er stand überall in dem hohen Ansehen, ein vortrefflicher König zu sein, und er war völlig frei von dem Wunsch, sein Königreich zugunsten seines materiellen Genusses auszudehnen. Der brahmana und König Bahulasva lebten auf diese Weise in Mithila als reine Geweihte Sri Krsnas. Da Sri Krsna König Bahulasva und dem brahmana Srutadeva überaus wohlgesinnt war, bat Er eines Tages Seinen Wagenlenker Daruka, Ihn in die Hauptstadt Mithila zu fahren. Sri Krsna wurde von den großen Weisen Narada, Vamadeva, Atri, Vyasadeva, Parasurama, Asita, Aruni, Brhaspati, Kanva, Maitreya, Cyavana und anderen begleitet. Sri Krsna und die Weisen kamen auf ihrer Fahrt durch viele Dörfer und Städte, und überall empfingen die Bürger sie mit großer Achtung und verehrten sie mit den verschiedensten Gaben. Wenn die Bürger eines Ortes herbeiströmten, um den Herrn zu sehen, und sich alle zu einer Menschenmenge versammelten, sah Krsna aus wie die Sonne, die von ihren Planeten umgeben wird. Auf ihrer Reise fuhren Krsna und die Weisen durch die Königreiche Anarta, Dhanva, Kurujangala, Kanka, Matsya, Pancala, Kunti, Madhu, Kekaya, Kosala und Arna, und so bekamen alle Bewohner dieser Länder, Männer wie Frauen, die Gelegenheit, Krsna von Angesicht zu Angesicht zu sehen. So genossen sie alle mit weit offenen Herzen, die mit Liebe und Zuneigung zum Herrn erfüllt waren, himmlisches Glück, und als sie Krsnas Antlitz sahen, war ihnen, als tränken sie durch ihre Augen Nektar. Der Anblick Krsnas ließ all ihre aus Unwissenheit entstandenen falschen Lebensauffassungen verschwinden. Als Krsna durch diese Länder fuhr und die Menschen herbeikamen, um Ihn zu sehen, segnete der Herr sie einfach durch Seinen Blick, wodurch sie alles Glück erfuhren und von jeglicher Art der Unwissenheit befreit wurden. An einigen Orten gesellten sich sogar die Halbgötter zu den Menschen, und ihre Lobpreisungen reinigten die ganze Umgebung von allen unheilvollen Dingen. So erreichte Sri Krsna schließlich das Königreich Videha.

Als die Bewohner des Königreichs die Nachricht von Krsnas Ankunft vernahmen, freuten sie sich grenzenlos und eilten mit Geschenken in den Händen herbei, um Ihn zu begrüßen. Als sie Sri Krsna sahen, erblühten ihre Herzen in transzendentaler Glückseligkeit wie Lotosblumen, die sich beim Sonnenaufgang öffnen. Ihnen waren zwar die Namen all dieser großen Weisen bekannt, doch sie hatten sie noch nie selbst gesehen. Nun war es ihnen durch Sri Krsnas Barmherzigkeit vergönnt, sowohl die großen Weisen als auch Ihn Selbst, den Höchsten Herrn, zu sehen.

König Bahulasva und der brahmana Srutadeva, die beide sehr wohl wußten, daß der Herr nur gekommen war, um sie mit Seiner Barmherzigkeit zu segnen, fielen sofort vor Seinen Lotosfüßen nieder und erwiesen Ihm ihre Ehrerbietungen. Mit gefalteten Händen luden dann sowohl der König als auch der brahmana Sri Krsna und die Weisen zu sich nach Hause ein. Um sie beide zu erfreuen, manifestierte Sich Sri Krsna in zwei Erweiterungen und besuchte gleichzeitig den König und den brahmana. Aber keiner der beiden wußte, daß der Herr Sich auch im Hause des anderen befand; jeder dachte, der Herr sei nur in sein Haus gekommen. Daß Krsna und Seine Begleiter in beiden Häusern zugleich anwesend waren, obwohl sich weder der brahmana noch der König dessen bewußt waren, ist eine der Füllen der Höchsten Persönlichkeit Gottes, und sie wird in den offenbarten Schriften als vaibhava-prakasa bezeichnet. Auf dieselbe Weise hatte Sri Krsna, als Er 16.000 Frauen heiratete, 16.000 Erweiterungen manifestiert, von denen jede genauso mächtig war wie Er Selbst. Und als Brahma in Vrndavana Krsnas Kühe, Kälber und Kuhhirtenjungen stahl, hatte Sich Krsna Selbst in viele neue Kühe, Kälber und Kuhhirtenjungen erweitert.

Bahulasva, der König von Videha, war sehr intelligent und besaß einen edlen Charakter. Es erstaunte ihn sehr, daß so viele große Weise und sogar die Höchste Persönlichkeit Gottes Selbst in Seinem Palast zugegen waren. Er wußte sehr wohl, daß die bedingte Seele, besonders wenn sie sich mit weltlichen Angelegenheiten beschäftigt, niemals hundertprozentig rein sein kann, wohingegen die Höchste Persönlichkeit Gottes und Ihre reinen Geweihten immer transzendental zur weltlichen Verunreinigung sind. Er konnte deshalb nur staunen, als er sah, daß die Höchste Persönlichkeit Gottes, Krsna, mit all den großen Weisen in Seinen Palast gekommen war, und er dankte Sri Krsna für Seine grundlose Barmherzigkeit.

Da er sich seinen Gästen gegenüber sehr verpflichtet fühlte und sie nach bestem Vermögen empfangen wollte, ließ er bequeme Stühle und Kissen bringen, auf denen sich Krsna und die Weisen voller Behagen niederließen. König Bahulasva war innerlich sehr aufgeregt, doch nicht irgendwelcher Probleme wegen, sondern wegen der tiefen Ekstase, die von seiner Liebe und Hingabe herrührte. Die Liebe und die Zuneigung zum Herrn und Seinen Gefährten durchdrang sein Herz, und seine Augen füllten sich mit Tränen der Ekstase. Er übernahm es persönlich, seinen göttlichen Gästen die Füße zu waschen, und sprengte dann sich und seinen Familienmitgliedern das Wasser über den Kopf. Danach überreichte er seinen Gästen farbenprächtige Blumengirlanden, Sandelholzpaste, Räucherstäbchen, neue Gewänder, Schmuck, Lampen, Kühe und Stiere. So verehrte er den Herrn und jeden der Weisen auf eine Art, die seiner königlichen Stellung entsprach. Als schließlich alle reichlich gespeist hatten und bequem saßen, ging Bahulasva zu Sri Krsna und berührte Seine Lotosfüße. Er nahm sie auf seinen Schoß, und während er sie massierte, begann er mit wohlklingender Stimme die Herrlichkeit des Herrn zu lobpreisen.

"Mein lieber Herr, Du bist die Überseele aller Lebewesen, und als der Zeuge, der im Herzen weilt, bist Du Dir über die Tätigkeiten eines jeden bewußt. Deshalb denken wir, die wir so vielen Pflichten nachgehen müssen, ständig an Deine Lotosfüße, damit wir immer in Sicherheit bleiben können und niemals von Deinem ewigen hingebungsvollen Dienst abweichen. Weil wir uns unablässig an Deine Lotosfüße erinnern, warst Du so gütig, persönlich hierherzukommen, um mich mit Deiner grundlosen Barmherzigkeit zu segnen. Wir haben gehört, o Herr, daß Du des öfteren gesagt habest, Deine reinen Geweihten seien Dir noch lieber als Sri Balarama oder Deine ständige Dienerin, die Glücksgöttin. Du liebst Deine Geweihten mehr als Brahma, Deinen ersten Sohn, und deshalb bin ich sicher, daß Du mich heute besucht hast, nur um Deine göttlichen Worte zu erfüllen. Es ist unvorstellbar für mich, wie gewisse Leute selbst dann noch gottlos und dämonisch sein können, wenn sie um Deine grundlose Barmherzigkeit und Deine Zuneigung wissen, mit der Du Deine Geweihten segnest, die unablässig im Krsna-Bewußtsein tätig sind. Wie nur können sie Deine Lotosfüße vergessen?"

"Mein lieber Herr, wir wissen, daß Deine Güte und Deine Großmut grenzenlos sind; wenn deshalb jemand alles aufgibt, um sich ausschließlich im Krsna-Bewußtsein zu beschäftigen, dann bist Du aufgrund dieses rückhaltlosen Dienstes manchmal sogar bereit, diesem Gottgeweihten Dich Selbst zu geben. Du bist in der Yadu-Dynastie erschienen, um Deine Mission zu erfüllen, die bedingten Seelen, die im Sündenpfuhl des materiellen Daseins verkommen, zu Dir zurückzuholen; diese Deine Erscheinung ist bereits auf der ganzen Welt berühmt. Mein lieber Herr, Du bist der Ozean grenzenloser Barmherzigkeit, Liebe und Zuneigung. O Krsna, Deine herrliche Gestalt als Syamasundara bezaubert das Herz eines jeden. Dein Wissen ist unbegrenzt, und um alle Menschen zu lehren, wie man hingebungsvollen Dienst ausführt, hast Du Deine Inkarnation Nara-Narayana geschickt, die sich noch heute in Badarinarayana große Entsagungen und Bußen auferlegt. Bitte sei daher so gütig und nimm meine demütigen Ehrerbietungen entgegen, die ich Deinen Lotosfüßen erweise. Mein lieber Herr, ich bitte Dich und Deine Begleiter, die großen Weisen und brahmanas, in meinem Haus zu verweilen, so daß unsere Familie, die von dem berühmten König Nimi abstammt, wenigstens für einige Tage durch den Staub Deiner Lotosfüße geheiligt wird." Sri Krsna konnte Seinem Geweihten diese Bitte nicht abschlagen, und so blieb Er mit den Weisen einige Tage bei ihm, um die Stadt Mithila und all ihre Einwohner zu heiligen.

Unterdessen hatte der brahmana Sri Krsna und dessen Gefährten zur gleichen Zeit in seinem Hause empfangen, und dabei war er von transzendentaler Freude ergriffen worden. Nachdem er seine Gäste gebeten hatte, sich niederzusetzen, begann er zu tanzen und warf sich dabei seinen cadar um den Körper. Weil Srutadeva alles andere als reich war, konnte er Krsna und den Weisen, seinen namhaften Gästen, nur ärmliche Sitzgelegenheiten wie Kissen, hölzerne Pritschen und Strohmatten anbieten; aber nichtsdestoweniger bemühte er sich nach bestem Vermögen, ihnen einen angemessenen Empfang zu bereiten. Er verherrlichte den Herrn und die Weisen mit erlesenen Worten, und zusammen mit seiner Frau wusch er all seinen Gästen die Füße. Danach nahm er das Wasser und besprengte damit seine Familienangehörigen. Obwohl der brahmana sehr arm zu sein schien, war er nun von größtem Glück gesegnet worden. Während er Sri Krsna und Seine Gefährten willkommen hieß, versank er in einem Ozean transzendentaler Freude. Nachdem er sie empfangen hatte, brachte er ihnen Früchte, Räucherstäbchen, Duftwasser, wohlriechenden Ton, tulasi-Blätter, kusa-Stroh und Lotosblumen - einfach alles, was ihm seine Mittel erlaubten. Dies waren zwar keine teuren Dinge, und sie ließen sich sehr leicht beschaffen, doch weil sie mit Liebe und Hingabe dargebracht wurden, nahmen Sri Krsna und Seine Gefährten sie mit Freude entgegen. Die Frau des brahmana kochte ganz einfache Gerichte, wie Reis und dal, und diese Speisen nahmen Krsna und die Weisen ebenfalls dankbar entgegen, da sie mit Liebe und Hingabe dargebracht wurden. Während Sri Krsna und Seine Gefährten auf diese Weise speisten, dachte der brahmana Srutadeva bei sich: "Ich bin in den tiefen, dunklen Brunnen des Haushälterlebens gefallen, und ich bin der unglückseligste aller Menschen. Wie ist es möglich, daß Sri Krsna, die Höchste Persönlichkeit Gottes, und Seine Begleiter, die großen Weisen, deren bloße Gegenwart jeden Ort so heilig macht wie eine Pilgerstätte, sich dazu herabgelassen haben, in meine Hütte zu kommen?"

Während dem brahmana solche Gedanken durch den Kopf gingen, beendeten seine Gäste ihr Mahl und lehnten sich behaglich zurück. Sogleich traten Srutadeva, seine Frau, seine Kinder und andere Verwandte vor ihre ehrwürdigen Gäste, um ihnen weitere Dienste darzubringen. Der brahmana berührte Krsnas Lotosfüße und sprach die folgenden Worte. "Mein lieber Herr", sagte er, "Du bist die Höchste Person, Purusottama, und somit stehst Du in transzendentaler Stellung zur manifestierten und unmanifestierten materiellen Schöpfung. Die Tätigkeiten der materiellen Welt und der bedingten Seelen haben nichts mit Deiner Stellung gemein. Ich bin mir bewußt, daß Du mich nicht nur heute mit Deiner Anwesenheit beehrt hast; vielmehr bist Du seit Anbeginn der Schöpfung als Paramatma mit allen Lebewesen zusammen."

Diese Worte des brahmana sind sehr lehrreich. Es ist eine Tatsache, daß der Höchste Herr, die Persönlichkeit Gottes, in Seinem Paramatma-Aspekt als Maha-Visnu, Garbhodakasayi Visnu und Ksirodakasayi Visnu in die Schöpfung der materiellen Welt eingegangen ist und aufgrund Seiner großen Freundschaft in jedem Körper neben der bedingten Seele weilt. Deshalb ist jedes Lebewesen schon seit Anbeginn mit dem Herrn zusammen, doch weil es ein falsches Bewußtsein vom Leben hat, vermag es dies nicht zu erkennen. Wenn dieses Bewußtsein jedoch in Krsna-Bewußtsein umgewandelt wird, kann man sogleich erkennen, wie Krsna versucht, der bedingten Seele zu helfen, der materiellen Verstrickung zu entkommen.

Srutadeva fuhr fort: "Mein lieber Herr, Du bist in einem schlafähnlichen Zustand in die materielle Welt eingegangen. Wenn die bedingte Seele schläft, so schafft sie im Traum falsche, d.h. zeitweilige Welten und beschäftigt sich dabei mit so vielen illusorischen Dingen: Manchmal wird sie König, ein anderes Mal wird sie ermordet, und dann wieder besucht sie eine unbekannte Stadt - doch all diese Dinge existieren nur vorübergehend. In ähnlicher Weise begibst Du Dich, o Herr, scheinbar ebenfalls wie im Schlaf in die materielle Welt, um eine zeitweilige Manifestation zu schaffen - allerdings nicht Deiner eigenen Bedürfnisse wegen, sondern für die bedingte Seele, die Dich, o Herr, als Genießer nachahmen möchte. Der Genuß der bedingten Seele in der materiellen Welt ist zeitweilig und illusorisch, doch die bedingte Seele ist allein nicht in der Lage, die zeitweiligen Umstände für ihren illusorischen Genuß zu schaffen. Um dem Lebewesen zu helfen, seine Wünsche zu erfüllen, obwohl diese nur zeitweilig und illusorisch sind, gehst Du in diese zeitweilige Manifestation ein. Somit bist Du von dem Zeitpunkt an, zu dem die bedingte Seele in die materielle Welt kommt, ihr ständiger Begleiter. Deshalb kann sich die bedingte Seele allmählich von der Verunreinigung des materiellen Daseins befreien, wenn sie einem reinen Gottgeweihten begegnet und sich dem hingebungsvollen Dienst zuwendet, der damit beginnt, daß man von Deinen transzendentalen Spielen hört, Deine transzendentalen Taten lobpreist, Deine ewige Form im Tempel verehrt, Dir Gebete darbringt und Gespräche führt, um Deine transzendentale Stellung zu verstehen. Dadurch wird das Herz eines solchen Gottgeweihten von allem materiellen Staub gereinigt, und Du wirst allmählich in seinem Herzen sichtbar. Obwohl Du die bedingte Seele ständig begleitest, offenbarst Du Dich ihr erst dann, wenn sie sich durch hingebungsvollen Dienst reinigt. Diejenigen jedoch, die sich in fruchtbringenden Tätigkeiten verlieren - ob diese Tätigkeiten nun entsprechend der Anweisung der Veden oder einfach nur aufgrund von Gewohnheit ausgeführt werden - und sich nicht dem Pfad des hingebungsvollen Dienstes zuwenden, werden von den äußeren Freuden verlockt, die der körperlichen Lebensauffassung entspringen. Solchen Menschen offenbarst Du Dich nicht; vielmehr bleibst Du für sie in sehr weiter Ferne. Wer sich jedoch Deinem hingebungsvollen Dienst widmet und sein Herz durch das unablässige Chanten Deines Heiligen Namens gereinigt hat, erreicht sehr leicht die Ebene, wo er sieht, daß Du sein ewiger Begleiter bist."

"Es heißt, daß Du, o Herr, dem Gottgeweihten vom Herzen her Anweisungen gibst, wie er schnell nach Hause, zurück zu Dir, gelangen kann. Diese direkte Führung offenbart dem Gottgeweihten Deine Anwesenheit in seinem Herzen. Nur ein Gottgeweihter vermag unmittelbar Deine Anwesenheit in seinem Herzen wahrzunehmen; ein Mensch jedoch, der in die körperliche Lebensauffassung vertieft ist und nichts anderes als die Befriedigung seiner Sinne kennt, kann Dich nicht wahrnehmen, denn für ihn bist Du immer durch den Schleier yoga-mayas verhüllt. Deshalb erkennt er auch nicht, daß Du ihm sehr nahe bist, das heißt, daß Du in seinem Herzen weilst, und letzten Endes erkennt er Dich nur in Form des allesverschlingenden Todes. Der Unterschied zwischen einem solchen Nichtgottgeweihten und einem Gottgeweihten ist genauso wie der Unterschied zwischen einem Katzenjungen und einer Maus, die von einer Katze im Maul getragen werden. Das Maul der Katze bedeutet für die Maus den Tod, wohingegen das Katzenjunge im Maul der Katze deren mütterliche Zuneigung verspürt. Ebenso bist Du sowohl für den Gottgeweihten wie auch für den Nichtgottgeweihten gegenwärtig, aber der letztere erfährt Dich nur als endgültigen, grausamen Tod, wohingegen Du für den Gottgeweihten der höchste Lehrer und Philosoph bist. Der Atheist also erkennt die Gegenwart Gottes in Form des Todes, wohingegen der Gottgeweihte sich ständig darüber bewußt ist, daß Sich Gott in seinem Herzen befindet. Er läßt sich deshalb von Ihm lenken und führt so ein vollkommen transzendentales Leben, ohne von der verunreinigenden Wirkung der materiellen Welt in Mitleidenschaft gezogen zu werden."

"Du bist der höchste Herrscher, und unter Deiner Führung bewegt sich die ganze materielle Natur. Die Atheisten beobachten die Bewegungen der materiellen Natur, aber sie sind nicht fähig, Dich als ihre ursprüngliche Grundlage zu erkennen. Ein Gottgeweihter dagegen sieht Deine Hand direkt hinter jeder Bewegung der materiellen Natur, denn der Schleier yoga-mayas kann die Sicht Deiner Geweihten nicht bedecken, wie dies bei den Nichtgottgeweihten der Fall ist. Die Nichtgottgeweihten sind deshalb außerstande, Dich von Angesicht zu Angesicht zu sehen, genau wie auch ein Mensch, dessen Sicht von einer Wolke bedeckt ist, die Sonne nicht sehen kann, während ein anderer, der über der Wolkendecke fliegt, das Sonnenlicht so hell sieht, wie es ist. Ich bringe Dir meine achtungsvollen Ehrerbietungen dar. O Herr, der Du aus Dir Selbst strahlst, ich bin Dein ewiger Diener. Bitte befiehl mir deshalb - was kann ich für Dich tun? Solange Du der bedingten Seele nicht sichtbar bist, ist sie dem schmerzvollen Einfluß der materiellen Verunreinigung in Form der dreifachen Leiden unterworfen; doch wenn die bedingte Seele ihr Krsna-Bewußtsein wiedererweckt und Du ihr in der Folge sichtbar wirst, überwindet sie damit sogleich alle Leiden des materiellen Daseins."

Krsna, die Höchste Persönlichkeit Gottes, ist Seinen Geweihten von Natur aus sehr zugetan. Daher war Er sehr erfreut, als Er Srutadevas Gebete hörte, die von reiner Hingabe zeugten, und Er nahm ihn bei den Händen und sagte: "Mein lieber Srutadeva, all diese großen Weisen und Heiligen haben dir eine außergewöhnliche Gunst erwiesen, indem sie persönlich gekommen sind, um dich zu besuchen. Betrachte dies als ein großes Glück für dich. Sie sind so gütig, Mich auf Meiner Reise zu begleiten, und jeden Ort, den sie besuchen, läutern sie allein schon durch die Berührung mit dem Staub ihrer Füße, so daß dieser Ort so rein wird wie die transzendentale Welt. Die Menschen pflegen zu den Tempeln Gottes zu gehen und die heiligen Pilgerorte zu besuchen, und wenn sie dies für längere Zeit immer wieder getan haben und sich für viele Tage an diesen Orten aufgehalten und sich mit den Riten der Verehrung beschäftigt haben, werden sie allmählich gereinigt. Der Einfluß großer Weiser und Heiliger indessen ist so mächtig, daß man sogleich gereinigt wird, allein wenn man sie nur sieht."

"Darüber hinaus ist es so, daß die reinigende Wirkung einer Pilgerreise oder der Verehrung eines Halbgottes ebenfalls nur der Gnade heiliger Persönlichkeiten zu verdanken ist. Aus diesem Grund wird ein Pilgerort dank der Heiligen und Weisen, die dort wohnen, zu einer heiligen Stätte. Mein lieber Srutadeva, wenn jemand als brahmana geboren wird, zählt er bereits zu den besten der Menschen. Und wenn ein solcher brahmana in sich selbst zufrieden ist und sich Entsagung auferlegt, die Veden studiert und sich in Meinem hingebungsvollen Dienst beschäftigt, wie es der Pflicht der brahmanas entspricht - mit anderen Worten, wenn er ein Vaisnava wird -, wie wunderbar ist dann seine Vortrefflichkeit! Meine Erweiterung als vierarmiger Narayana ist Mir nicht so lieb wie ein brahmana-Vaisnava. Brahmana bedeutet 'jemand, der mit dem vedischen Wissen vertraut ist'. Ein brahmana ist der Inbegriff vollkommenen Wissens, ebenso wie Ich die Gesamtsumme aller Halbgötter bin. Menschen mit geringer Intelligenz erkennen nicht, daß Ich das höchste Wissen darstelle, ebensowenig wie sie die Bedeutung der brahmana-Vaisnavas verstehen. Sie stehen unter dem Einfluß der drei Erscheinungsweisen der materiellen Natur und wagen es daher sogar, Mich und Meine reinen Geweihten zu schmähen. Ein brahmana-Vaisnava, d.h. ein Gottgeweihter, der bereits die brahmanische Ebene erreicht hat, kann Mich in seinem Herzen erkennen und gelangt daher zu dem eindeutigen Schluß, daß die gesamte kosmische Manifestation mit ihren verschiedenen Aspekten von den Energien des Herrn geschaffen wurde. Er hat somit ein klares Verständnis von der materiellen Natur und der gesamten materiellen Energie, und ein solcher Gottgeweihter sieht in jeder Bewegung Mich allein, und nichts anderes. Mein lieber Srutadeva, du kannst deshalb all diese großen Heiligen, brahmanas und Weisen als Meine echten Vertreter betrachten. Wenn du sie voller Vertrauen verehrst, dann verehrst du damit Mich auf eine noch gewissenhaftere Weise. Tatsächlich sehe Ich es lieber, wenn man Meine Geweihten verehrt, als wenn man Mich direkt verehrt. Wenn jemand versucht, Mich direkt zu verehren, und dabei Meine Geweihten übergeht, nehme Ich eine solche Verehrung nicht an, auch wenn sie noch so prunkvoll ist."

Auf diese Weise folgten der brahmana Srutadeva und der König von Mithila den Anweisungen des Herrn und verehrten Ihn zusammen mit Seiner Gefolgschaft, den großen Weisen und den heiligen brahmanas, indem sie sowohl Krsna als auch den Weisen die gleiche spirituelle Bedeutung zumaßen. Der brahmana und der König erreichten beide letztlich das höchste Ziel und gelangten in die spirituelle Weit. Der Gottgeweihte kennt niemanden außer Krsna, und Krsna ist Seinerseits dem Gottgeweihten sehr zugeneigt. Sri Krsna verweilte noch einige Zeit in Mithila und hielt Sich sowohl im Hause des brahmana Srutadeva als auch im Palast König Bahulasvas auf, und nachdem Er beide in reichlichem Maße mit transzendentalen Unterweisungen gesegnet hatte, kehrte Er wieder in Seine Hauptstadt Dvaraka zurück. Aus dieser Begebenheit können wir die folgenden Lehren ziehen: Der Herr behandelte König Bahulasva und den brahmana Srutadeva völlig gleich, da beide reine Gottgeweihte waren. Dies ist die essentielle Eigenschaft, durch die man die Anerkennung der Höchsten Persönlichkeit Gottes finden kann. Weil es eine Erscheinung des gegenwärtigen Zeitalters ist, daß Menschen sich zu Unrecht etwas auf ihre Geburt in einer ksatriya- oder brahmana-Familie einbilden, können wir heute häufig beobachten, wie Menschen, die nicht die geringste Qualifikation aufweisen, behaupten, brahmanas, ksatriyas oder vaisyas zu sein, einfach nur weil sie in einer solchen Familie geboren wurden. In den Schriften heißt es jedoch, kalau sudra-sambhava: "Im Zeitalter des Kali ist jeder ein sudra." Dies liegt daran, daß heute die Reinigungsvorgänge, die als samskaras bezeichnet werden, nicht mehr durchgeführt werden. Diese Reinigungsvorgänge beginnen zum Zeitpunkt der Zeugung und setzen sich fort bis zum Zeitpunkt des Todes. Niemand kann einfach nur aufgrund des Geburtsrechts einer bestimmten Kaste zugeordnet werden, vor allem nicht den höheren Kasten der brahmanas, ksatriyas und vaisyas. Jeder, der zum Zeitpunkt der Zeugung nicht durch den Vorgang der garbhadhana-samskara gereinigt worden ist, zählt automatisch zu den sudras, denn nur die sudras unterziehen sich nicht diesem Reinigungsvorgang. Geschlechtsverkehr ohne den Reinigungsvorgang des Krsna-Bewußtseins ist nichts anderes als eine Art der Zeugung, wie wir sie auch bei den sudras und den Tieren finden. Das Krsna-Bewußtsein jedoch ist die höchste Vollkommenheit, die es jedem erlaubt, die Ebene eines Vaisnavas zu erreichen. Diese Stufe schließt bereits mit ein, daß man alle Eigenschaften eines brahmana besitzt. Die Ausbildung der Vaisnavas führt dazu, daß sie von allen vier Arten sündhafter Tätigkeiten frei werden, die darin bestehen, daß man unzulässige sexuelle Beziehungen unterhält, Rauschmittel einnimmt, sich an Glücksspielen beteiligt und tierische Nahrung ißt. Niemand kann sich auf die brahmanische Ebene erheben, ohne zumindest diese Grundvoraussetzungen zu erfüllen, und ohne ein qualifizierter brahmana zu sein, kann man kein reiner Gottgeweihter werden.

Hiermit enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen zum 85. Kapitel des Krsna-Buches: "Die Entführung Subhadras und Sri Krsnas Besuch bei Srutadeva und Bahulasva".