81. Kapitel: Krsnas und Balaramas
Wiedersehen mit den Bewohnern von Vrndavana
Eines Tages, während Sri Krsna und
Balarama Sich
friedlich in Ihrer großen Stadt
Dvaraka aufhielten, fand
das seltene Ereignis einer völligen Sonnenfinsternis statt,
wie sie sich auch am Ende von
jedem kalpa, einem Tag
Brahmas, ereignet. Am Ende eines
jeden kalpa wird die
Sonne von einer
riesigen Wolke
verdeckt, und
unaufhörliche Regenfälle
überfluten alle niederen
Planetensysteme bis hinauf nach
Svargaloka. Anhand
astronomischer Berechnungen hatte
man die große
Sonnenfinsternis ankündigen können, worauf alle, sowohl
die Männer als auch die Frauen,
beschlossen, an einem
heiligen Ort in Kuruksetra, der als
Samanta-pancaka
bekannt ist, zusammenzukommen.
Der Pilgerort Samanta-pancaka ist
berühmt, weil Sri
Parasurama dort große Opfer darbrachte,
nachdem Er
einundzwanzigmal alle ksatriyas der Welt
besiegt hatte.
Das Blut dieser getöteten ksatriyas
vereinigte sich zu
einem gewaltigen
Strom, worauf
Parasurama bei
Samanta-pancaka fünf große Seen aushob
und sie mit
diesem Blut
füllte. Sri Parasurama
gehört zum
visnu-tattva, und wie in der Isopanisad erklärt wird, kann
das visnu-tattva niemals
von irgendwelchen Sünden
verunreinigt werden. Aber trotz Seiner
unbestreitbaren
Macht und
Reinheit wollte Sri
Parasurama ein
vorbildliches Verhalten zeigen, und so
führte Er bei
Samanta-pancaka große Opferzeremonien durch,
um für
Sein scheinbar sündhaftes Töten der
ksatriyas Buße zu
tun. Durch Sein Beispiel machte Parasurama deutlich, daß
die Kunst des Tötens, obwohl
manchmal nötig, niemals
etwas Gutes ist. Weil Sich sogar
Parasurama wegen der
sündhaften Tat, die das Töten der ksatriyas darstellte, für
schuldbeladen hielt, um wieviel
schuldbeladener müssen
dann erst wir sein,
wenn wir solch abscheuliche,
unzulässige Handlungen
begehen? Das
Töten von
Lebewesen ist seit unvordenklichen Zeiten überall auf der
Welt verboten.
Alle bedeutenden Persönlichkeiten der
damaligen Zeit
nahmen die Gelegenheit der
Sonnenfinsternis wahr, um
den heiligen
Pilgerort zu
besuchen. Einige der
Persönlichkeiten, die aufgezählt werden,
sind folgende:
Unter den Älteren befanden sich
Akrura, Vasudeva und
Ugrasena, und unter den Jüngeren
Gada, Pradyumna,
Samba und viele andere Angehörige
der Yadu-Dynastie,
die in der Absicht gekommen waren,
ihre Sünden zu
sühnen, die sie im Laufe der Zeit bei der Erfüllung ihrer
Pflichten auf sich
geladen hatten. Weil
fast alle
Angehörigen der Yadu-Dynastie nach
Kuruksetra zogen,
blieben einige
bedeutende
Persönlichkeiten, wie
Aniruddha, der Sohn Pradyumnas, und
Krtavarma, der
Oberbefehlshaber der Yadus, gemeinsam mit
Sucandra,
Suka und Sarana in Dvaraka zurück,
um die Stadt zu
beschützen.
Alle Angehörigen der Yadu-Dynastie waren bereits von
Natur aus von außergewöhnlicher Schönheit, doch als sie,
mit
goldenen
Halsketten
und Blumengirlanden
geschmückt, in
kostbare Gewänder
gekleidet und
wohlversehen mit
ihren persönlichen
Waffen, in
Kuruksetra eintrafen, schien ihre natürliche Schönheit und
Würde hundertmal größer zu sein. Sie kamen auf prächtig
verzierten Wagen, die
den Himmelsflugzeugen der
Halbgötter glichen
und von
stattlichen, sich wie
Meereswellen bewegenden Pferden
gezogen wurden.
Einige ritten auch auf mächtigen
und majestätischen
Elefanten, die wie am Himmel
vorbeiziehende Wolken
einherschritten, und die Frauen wurden von Männern, die
ihrer Schönheit
nach Vidyadharas
glichen, auf
königlichen Sänften getragen. Die ganze
Versammlung
glich dem Anblick einer Versammlung
von Halbgöttern
auf den himmlischen Planeten.
Nachdem die
Mitglieder der
Yadu-Dynastie in
Kuruksetra eingetroffen
waren, nahmen sie
unter
Beachtung der Prinzipien
der Selbstbeherrschung ein
zeremonielles Bad, wie dies in den sastras vorgeschrieben
wird, und sie fasteten
für die ganze Dauer der
Sonnenfinsternis, um die Reaktionen auf
all ihre Sünden
zu tilgen. Da es vedischer Brauch
ist, während einer
Sonnenfinsternis so viele
Spenden wie möglich zu
verteilen, schenkten die Yadus den
brahmanas Hunderte
von Kühen, die
reichlich mit schönen
Decken und
Gehängen geschmückt waren und als Besonderheit an den
Fußgelenken goldene Glöckchen und
um ihren Hals
Blumengirlanden trugen.
Sodann nahmen alle Angehörigen der
Yadu-Dynastie
noch einmal ein Bad in den von Parasurama geschaffenen
Seen und speisten
anschließend die brahmanas mit
vorzüglich gekochten Speisen, die alle in Butter zubereitet
waren. In der vedischen
Küche unterscheidet man
zwischen zwei Arten von Speisen;
die einen bezeichnet
man als Rohkost und die anderen als Gekochtes. Rohkost
bezieht sich nicht auf rohes Gemüse oder rohes Getreide,
sondern auf alles, was
in Wasser gekocht wurde.
Gekochtes dagegen sind Speisen, die mit Ghee (Butterfett)
hergestellt werden. Capatis, dal, Reis
und gewöhnliches
Gemüse bezeichnet man also, ebenso
wie Früchte und
Salate, als Rohkost, wohingegen puris, kacauris, samosas,
"Sweetballs" und ähnliche
Speisen zum Gekochten
zählen. Alle brahmanas, die von den
Angehörigen der
Yadu-Dynastie zu dieser Festlichkeit
eingeladen worden
waren, erhielten also
reichliche Mengen gekochter
Speisen.
Die Zeremonien,
die die
Angehörigen der
Yadu-Dynastie vollzogen, glichen äußerlich den Riten der
karmis. Wenn ein karmi Riten oder Zeremonien vollzieht,
tut er dies zum Zwecke der Sinnenbefriedigung, das heißt,
er verspricht sich davon eine gute
Stellung, eine gute
Frau, ein gutes Haus, gute Kinder oder viel Reichtum. Der
Beweggrund der Yadus war dagegen
völlig anders. Sie
wollten Krsna ihr ewiges Vertrauen
und ihre ewige
Hingabe
darbringen.
Alle
Angehörigen der
Yadu-Dynastie waren große Gottgeweihte.
Als solche
hatten sie nun nach
vielen Leben voller frommer
Tätigkeiten die Gelegenheit bekommen, mit
Sri Krsna
zusammensein zu dürfen. Bei all
ihren Tätigkeiten -
während sie sich anschickten, an
dem Pilgerort von
Kuruksetra ihr Bad zu nehmen, während sie die bei einer
Sonnenfinsternis vorgeschriebenen Prinzipien befolgten
und während sie Speisen an die
brahmanas verteilten -
waren sie nur auf Hingabe zu Krsna bedacht.
Ihre ganze
Verehrung galt ihrem höchstvollkommenen
Herrn, Sri
Krsna, und niemandem sonst.
Wenn ein Gastgeber die brahmanas gespeist hat, dann
ist es Brauch, daß er die
brahmanas darum bittet, selbst
prasadam zu sich nehmen zu dürfen, und so nahmen auch
die Angehörigen der Yadu-Dynastie mit der Erlaubnis der
brahmanas ihr Mahl ein.
Alsdann suchten sie sich
Ruheplätze unter den großen, schattigen
Bäumen, und
nachdem sie sich genügend ausgeruht hatten, schickten sie
sich an, Besucher, wie Verwandte
und Freunde sowie
auch viele Könige und Herrscher
unterworfener Länder,
zu begrüßen. Unter ihnen befanden sich die Herrscher der
Provinzen Matsya, Usinara,
Kosala, Vidarbha, Kuru,
Srnjaya, Kamboja, Kekaya
und noch vieler anderer
Provinzen und Länder. Einige dieser
Herrscher gehörten
zu den Gegnern, andere zu den Freunden der Yadus. Doch
von allen waren die
Besucher aus Vrndavana am
wichtigsten. Die Bewohner von Vrndavana, deren Führer
Nanda Maharaja war, hatten, getrennt
von Krsna und
Balarama, in großer Sehnsucht gelebt. Nun nutzten sie das
Ereignis der Sonnenfinsternis, um ihr
ein und alles, das
Höchste in ihrem
Leben, Krsna und
Balarama,
wiederzusehen.
Die
Bewohner
von
Vrndavana
waren der
Yadu-Dynastie wohlgesinnt; viele
waren sogar eng
befreundet, und so war ihre Begegnung nach
einer solch
langen Zeit der Trennung ein
ergreifender Augenblick.
Die grenzenlose Freude, die die Yadus und die Bewohner
von Vrndavana empfanden, als sie sich begrüßten und die
ersten Worte austauschten,
glich einem einzigartigen
Schauspiel. Nun, da sie
sich nach langer Trennung
wiedersahen, waren sie alle von Jubel erfüllt; ihre Herzen
schlugen erregt, und
ihre Gesichter glichen frisch
erblühten Lotosblumen. Tränen strömten
ihnen aus den
Augen, ihre Körperhaare sträubten sich, und in ihrer tiefen
Ekstase waren
sie für
einige Zeit unfähig,
weiterzusprechen. So versanken sie in
einem Meer der
Glückseligkeit.
Wie die Männer, so begrüßten sich auch die Frauen mit
überwältigender Freude. Sie umarmten
sich, bewegt von
inniger Freundschaft, und ihr Lächeln und ihre Blicke, die
sie austauschten, zeugten ebenfalls von tiefer Zuneigung.
Der Safran und
das kunkuma-Puder
ihrer Brüste
vermischten sich, als sie sich
gegenseitig umarmten. Sie
alle verspürten himmlische Glückseligkeit, und diese vom
Herzen kommenden Umarmungen ließen Ströme
von
Tränen über ihre Wangen fließen. Die jüngeren brachten
den älteren ihre Ehrerbietungen dar,
während diese den
jüngeren ihren Segen spendeten. So
begrüßten sie sich
und erkundigten sich gegenseitig nach dem Wohlergehen.
Im Grunde jedoch drehte sich ihr Gespräch nur um Krsna.
Alle Nachbarn und Verwandten waren
auf irgendeine
Weise mit Sri Krsnas Spielen in
dieser Welt verbunden,
und deshalb war Krsna
der Mittelpunkt all ihrer
Tätigkeiten. Alles,
was sie taten
- sei es in
gesellschaftlicher, politischer oder religiöser Hinsicht oder
in ihrem Alltag war völlig transzendental.
Wirklicher Fortschritt im menschlichen
Leben beruht
auf Wissen und Entsagung. Wie im
Ersten Canto des
Srimad-Bhagavatam
erklärt
wird,
bringt der
hingebungsvolle Dienst zu
Krsna automatisch auch
vollkommenes Wissen und
Entsagung mit sich. Die
Familienmitglieder der Yadu-Dynastie und die Kuhhirten
aus Vrndavana richteten ihre Gedanken ständig auf Krsna.
Das ist das Zeichen wirklichen
Wissens, und da sie in
Gedanken stets bei Krsna weilten,
waren sie von allen
materiellen Tätigkeiten frei. Wie Srila
Rupa Gosvami
erklärt, wird diese Lebensstufe
yukta-vairagya genannt.
Wissen und Entsagung haben daher nichts mit trockenem
Spekulieren und der Entsagung aller
Tätigkeiten zu tun.
Vielmehr muß man all seine Worte
und Tätigkeiten in
Beziehung zu Krsna bringen.
Bei der Begegnung in Kuruksetra
trafen sich auch
Kuntidevi und Vasudeva, die Geschwister
waren, nach
langer Zeit der Trennung wieder,
und zwar gemeinsam
mit ihren Schwiegersöhnen, Schwiegertöchtern,
Frauen,
Kindern und anderen Familienmitgliedern.
Während sie
miteinander ins Gespräch kamen, vergaßen
sie schnell
ihre vergangenen
Leiden. Kuntidevi
wandte sich
insbesondere an ihren Bruder Vasudeva und sagte: "Mein
lieber Bruder, mich verfolgt das Unglück, denn nicht ein
einziger meiner
Wünsche ist
jemals in Erfüllung
gegangen. Wie sonst wäre es möglich
gewesen, daß du,
mein heiliger
Bruder, der du
in jeder Hinsicht
vollkommen bist, nicht danach fragtest,
wie es mir ging,
als ich von so
großem Leid heimgesucht wurde."
Kuntidevi erinnerte sich ganz
offensichtlich an die
leidvolle Zeit, als sie durch die hinterhältigen Pläne Dhrtarastras und Duryodhanas
mit ihren Söhnen in der
Verbannung leben mußte. ,"Mein lieber Bruder", fuhr sie
fort, "ich weiß, daß
selbst die engsten Verwandten
jemanden vergessen, wenn sich das
Schicksal gegen ihn
wendet. Wenn man sich in einer solch unglücklichen Lage
befindet, vergessen einen sogar die eigenen Eltern und die
eigenen Kinder. Deshalb, mein lieber
Bruder, mache ich
dir keine Vorwürfe."
Vasudeva entgegnete
seiner Schwester: "Liebe
Schwester, sei nicht traurig, und tadle mich nicht auf diese
Weise. Wir sollten uns immer vor Augen halten, daß wir
nur Spielzeuge in den Händen des Schicksals sind. Jeder
steht unter der Macht der Höchsten Persönlichkeit Gottes.
Ganz allein
unter Seiner
Aufsicht finden alle
fruchtbringenden Tätigkeiten und ihre
Reaktionen statt.
Liebe Schwester, du weißt, daß
König Kamsa uns alle
grausam verfolgte und daß diese Verfolgungen uns in alle
Richtungen verstreut haben. Wir haben
immer in großer
Angst gelebt, und erst vor ein
paar Tagen konnten wir
dank Gottes Gnade wieder in unsere gewohnte Umgebung
zurückkehren."
Nach dieser Unterhaltung empfingen
Vasudeva und
Ugrasena die Könige, die gekommen
waren, um sie zu
treffen, und hießen sie
mit gebührender Ehre will-
kommen. Als die Besucher sahen, daß
auch Sri Krsna
gekommen war, wurden sie alle von
transzendentaler
Freude und von innerem Frieden
erfüllt. Einige der
bedeutendsten Besucher waren Bhismadeva,
Dronacarya,
Dhrtarastra, Duryodhana, Gandhari mit ihren
Söhnen,
König Yudhisthira mit seiner Frau, die anderen Pandavas
und Kunti, Srnjaya,
Vidura, Krpacarya, Kuntibhoja,
Virata, König
Nagnajit, Purujit,
Drupada, Salya,
Dhrstaketu, der König von Kasi, Damaghosa, Visalaksa,
der König von Mithila, der König
von Madras (in jenen
Tagen Madra
genannt), der
König von Kekaya,
Yudhamanyu, Susarma, Bahlika mit seinen
Söhnen und
viele andere Herrscher, die König
Yudhisthira untertan
waren.
Als sie Sri Krsna mit Seinen vielen tausend Königinnen
sahen, erfüllte sie dieser Anblick
von Schönheit und
transzendentaler
Vollkommenheit
mit tiefster
Zufriedenheit, und sie alle begaben
sich persönlich zu
Balarama und Krsna.
Nachdem der Herr sie mit
gebührender Ehre begrüßt
hatte, begannen sie, die
Angehörigen der Yadu-Dynastie, insbesondere Krsna und
Balarama, zu lobpreisen. Ugrasena, der König der Bhojas,
galt als das Oberhaupt der Yadus,
und deshalb wandten
sich die Besucher insbesondere an
ihn: "Eure Majestät,
Ugrasena, König der Bhojas, die
Yadus sind tatsächlich
die einzigen auf dieser
Welt, die in jeder
Hinsicht
vollkommen sind. Aller Ruhm sei mit dir! Aller Ruhm sei
mit dir! Die Besonderheit eurer
Vollkommenheit besteht
darin, daß ihr ständig Sri Krsna
seht, nach dem viele
mystische yogis suchen, indem sie
sich für unzählige
Jahre Entsagungen und Bußen unterziehen. Ihr alle seid in
jedem Augenblick unmittelbar mit Sri Krsna zusammen.
Alle vedischen Hymnen preisen Krsna,
die Höchste
Persönlichkeit Gottes. Das Wasser des
Ganges gilt als
heilig, weil es das Wasser ist, das dazu diente, Sri Krsnas
Lotosfüße zu waschen. Die vedischen
Schriften sind
nichts anderes als Sri Krsnas Anweisungen. Das Ziel des
Studiums der Veden ist es, Krsna
zu erkennen; daher
haben Sri Krsnas Worte und die Erzählungen von Seinen
Spielen stets eine läuternde Wirkung. Unter dem Einfluß
von Zeit und Umständen waren alle
Reichtümer dieser
Welt fast vollständig verschwunden, doch
seit Krsna auf
diesem Planeten erschienen
ist und ihn mit Seinen
Lotosfüßen berührt hat,
sind alle glückverheißenden
Zeichen wieder zurückgekehrt. Dank Seiner Anwesenheit
gehen nach und nach all unsere Wünsche und Sehnsüchte
in Erfüllung. O Majestät, o König der Bhoja-Dynastie, du
bist durch Heiraten und durch
Blutsverwandtschaft mit
der Yadu-Dynastie verbunden.
Infolgedessen bist du
ständig mit Sri Krsna zusammen und
kannst Ihn ohne
weiteres jederzeit sehen. Sri Krsna
bewegt Sich unter
euch, spricht mit euch, sitzt bei euch, ruht bei euch und ißt
mit euch. Die Yadus scheinen zwar weltlichen Tätigkeiten
nachzugehen, die, wie man sagt, auf königlichen Straßen
zur Hölle führen; aber weil Sri
Krsna, die ursprüngliche
Persönlichkeit Gottes aller
Visnu-Erweiterungen, der
Allwissende, Allgegenwärtige und
Allmächtige, unter
euch weilt, seid ihr von aller materiellen Verunreinigung
befreit und auf der transzendentalen Ebene der Befreiung
und der Brahman-Existenz verankert."
Als die Einwohner von Vrndavana,
deren Oberhaupt
Nanda Maharaja war, erfahren hatten,
daß Sich Krsna
anläßlich der Sonnenfinsternis nach
Kuruksetra begeben
werde, hatten sie alle
beschlossen, ebenfalls nach
Kuruksetra zu fahren; somit hatten sich an diesem Ort alle
Angehörigen der Yadu-Dynastie
zusammengefunden.
König Nanda hatte mit seinen
Kuhhirten alles nötige
Reisegepäck auf Ochsenwagen geladen, und
dann hatten
sich die Bewohner Vrndavanas allesamt
auf den Weg
nach Kuruksetra begeben, um ihre geliebten Söhne Krsna
und Balarama wiederzusehen. Als die
Kuhhirten aus
Vrndavana in Kuruksetra eintrafen, waren
die Yadus bei
ihrem Anblick hocherfreut; sie alle erhoben sich sogleich,
um die Einwohner Vrndavanas willkommen
zu heißen,
und es schien, als seien sie
zu neuem Leben erwacht.
Beide Seiten hatten sich sehr nach
einer Begegnung
gesehnt, und als sie sich nun endlich wieder trafen, fielen
sie einander voller Glückseligkeit in
die Arme, und für
längere Zeit umarmten sie sich immer wieder.
Als Vasudeva Nanda Maharaja erblickte, sprang er auf
und lief auf ihn zu, um ihn liebevoll
zu umarmen. Dann
erzählte Vasudeva alles, was sich
zugetragen hatte - wie
ihn König Kamsa gefangengenommen hatte und all seine
neugeborenen Söhne tötete, wie er
Krsna sogleich nach
der Geburt zum Haus Nanda Maharajas
brachte und wie
sowohl Krsna als auch Balarama in der Folge von Nanda
Maharaja und seiner Frau, Königin
Yasoda, aufgezogen
wurden, als seien Sie ihre eigenen Kinder. Auch Balarama
und Krsna umarmten König Nanda und
Mutter Yasoda,
und Sie brachten ihren Lotosfüßen
Ehrerbietungen dar,
indem Sie Sich vor ihnen verneigten. Überwältigt von der
Zuneigung, die Sie als Söhne für
Nanda und Yasoda
empfanden, versagte
Ihnen die Stimme,
und für
Augenblicke waren Sie ganz stumm.
König Nanda und
Mutter Yasoda, die so sehr vom Glück begünstigt waren,
nahmen ihre Söhne auf den Schoß
und umarmten sie
innig. Die Trennung von Krsna und Balarama hatte ihnen
lange Zeit tiefen Schmerz bereitet,
doch nun, da sie die
beiden wiedersahen und umarmten, war
ihr ganzes Leid
vergessen.
Dann traten Krsnas Mutter Devaki und
Balaramas
Mutter Rohini auf Mutter Yasoda zu
und umarmten sie.
"Liebe Königin Yasodadevi", sagten sie,
"du und Nanda
Maharaja seid uns stets gute Freunde gewesen, und sobald
wir an euch denken, werden wir
von der Erinnerung an
eure Freundschaft zutiefst bewegt. Wir
stehen so tief in
eurer Schuld, daß diese Schuld nicht einmal dann getilgt
wäre, wenn wir euch für eure wohlmeinenden Segnungen
den Reichtum des Himmelskönigs geben
würden. Wir
werden niemals vergessen, was ihr in eurer Güte für uns
getan habt. Krsna und Balarama wurden gleich nach Ihrer
Geburt, noch bevor Sie Ihre wirklichen Eltern zu Gesicht
bekamen, eurer Obhut anvertraut, und
ihr habt Sie wie
eure eigenen Kinder aufgezogen und
Sie umhegt wie
Vögel ihre Jungen im Nest. Ihr habt Sie ernährt, versorgt
und geliebt und viele glücksbringende
Zeremonien zu
Ihrem Wohl durchgeführt.
Im Grunde sind Sie gar nicht
unsere Söhne, sondern
gehören euch. Nanda Maharaja und
du, ihr seid die
eigentlichen Eltern Krsnas und Balaramas. Solange Sie in
eurer Obhut lebten, gab es für
Sie nicht die geringste
Schwierigkeit. Unter eurem Schutz gab es für Sie niemals
Anlaß zur Furcht. Die überaus liebevolle Fürsorge, die ihr
Ihnen habt zukommen lassen, entspricht ganz eurer erhabenen Stellung. Wirklich hochherzige
Persönlichkeiten
machen keinen Unterschied
zwischen ihren eigenen
Söhnen und den Söhnen anderer, und
es kann keine
hochherzigeren Persönlichkeiten
geben als Nanda
Maharaja und dich."
Was nun die gopis von Vrndavana betraf, so hatten sie
von Anbeginn ihres Lebens nichts
anderes gekannt als
Krsna. Krsna und Balarama waren ihr
ein und alles. Die gopis hingen so sehr an Krsna,
daß es für sie sogar
unerträglich war, Ihn für den einen
Augenblick nicht zu
sehen, wenn ihre Augenlider blinzelten und sie am Sehen
gehindert wurden. Sie verwünschten Brahma, den Schöpfer des Körpers, daß
er so dumm gewesen war,
Augenlider zu erschaffen, die blinzeln
mußten und sie
davon abhielten, Krsna zu sehen.
Als die gopis, die mit
Nanda Maharaja und Mutter Yasoda
gekommen waren,
Krsna nun nach
jahrelanger Trennung wiedersahen,
wurden sie von höchster Ekstase
überwältigt. Man kann
sich nicht einmal annähernd vorstellen, wie sehr sich die
gopis danach gesehnt hatten, Krsna
wiederzusehen. Als
sie Ihn nun erblickten, nahmen sie Ihn durch die Augen in
ihre Herzen auf und umarmten Ihn
zu ihrer vollsten Zufriedenheit. Obwohl
sie Krsna nur
in Gedanken
umarmten, wurden sie dadurch in solch ekstatische Freude
getaucht, daß sie alles um sich
herum vergaßen. Die
Glückseligkeit, die die gopis erfuhren,
als sie Krsna
einfach nur im Geist umarmten, kann
nicht einmal von
den großen yogis erreicht werden,
die ununterbrochen
über die Höchste Persönlichkeit Gottes meditieren. Krsna
verstand, in welch tiefer Ekstase sich die gopis befanden,
und weil Er im Herzen eines
jeden gegenwärtig ist,
erwiderte Er ihre Umarmungen im Innern ihres Herzens.
Krsna saß bei Mutter Yasoda und
Seinen anderen
Müttern, Devaki und Rohini, doch als diese sich angeregt
unterhielten, nahm Er die Gelegenheit
wahr und begab
Sich an einen abgelegenen Ort, um
Sich dort mit den
gopis zu treffen. Er lächelte, als Er Sich den gopis näherte,
und nachdem Er sie
umarmt und Sich nach
ihrem
Wohlergehen erkundigt hatte, ermunterte Er sie, indem Er
sagte: "Meine lieben Freundinnen, ihr wißt, daß Balarama
und Ich Vrndavana nur verließen, um unsere Verwandten
und Familienangehörigen zu erfreuen. Somit wurden Wir
lange davon in Anspruch
genommen, mit Unseren
Feinden zu kämpfen, weshalb Wir
gezwungen waren,
euch zu vergessen, die ihr alle
mit so viel Liebe und
Zuneigung an Mir hängt. Ich bin
Mir bewußt, daß Ich
damit euch gegenüber sehr undankbar gewesen bin, doch
Ich weiß, daß ihr Mir dennoch
treu geblieben seid. Darf
Ich euch fragen, ob ihr immer
an Uns gedacht habt,
obwohl Wir euch verlassen mußten?
Oder, Meine lieben
gopis, mißfällt es euch nun, an Mich zu denken, weil ihr
Mich für undankbar
haltet? Nehmt ihr Mir
Mein
schlechtes Betragen tatsächlich sehr übel?"
"Ihr solltet wissen, daß es
schließlich nicht Meine
Absicht war, euch zu verlassen.
Unsere Trennung war
eine Fügung der Vorsehung, die
ohnehin die höchste
Kontrolle ausübt und tut, was ihr
beliebt. Sie führt
gewisse Menschen zusammen und trennt sie dann wieder,
ganz wie es ihr gefällt. Manchmal
können wir an einem
bewölkten Tag, an dem
ein starker Wind
weht,
beobachten, daß winzige Staubkörner und
abgerissene
Baumwollbäusche ineinandergeweht werden, sich
aber
beim Nachlassen des Windes voneinander trennen und in
die verschiedensten Richtungen getragen
werden. Auf
diese Weise ist der Höchste Herr
der Schöpfer alles
Bestehenden, und alle Dinge, die
wir sehen, sind nichts
anderes als verschiedene Manifestationen Seiner Energie.
Durch Seinen höchsten Willen werden
wir manchmal
vereint und manchmal voneinander
getrennt. Dies zeigt
uns, daß wir letzten Endes völlig
von Seinem Willen
abhängig sind."
"Glücklicherweise habt ihr liebevolle Zuneigung zu Mir
entwickelt, denn dies ist der
einzige Weg, um auf die
transzendentale Ebene zu
gelangen, auf der man in
Meiner Gemeinschaft leben kann. Jedes
Lebewesen, das
solche reine
hingebungsvolle Zuneigung
zu Mir
entwickelt, kehrt ohne Zweifel nach
Hause, zu Gott,
zurück. Mit anderen Worten, reiner
hingebungsvoller
Dienst und Zuneigung zu
Mir führen zur höchsten
Befreiung."
"Meine lieben gopi-Freundinnen, wisset,
daß es allein
Meine Energien sind, die überall
wirken. Nehmt zum
Beispiel einen irdenen Krug: Er ist nichts weiter als eine
Zusammensetzung von Erde, Wasser, Feuer,
Luft und
Äther. Er besteht immer aus den
gleichen Elementen,
sowohl am Anfang als auch während
seines Bestehens
und auch nach seiner Vernichtung.
Wenn der Tonkrug
hergestellt wird, besteht seine Zusammensetzung aus den
Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft
und Äther, die
immer die gleichen
bleiben, und selbst
wenn er
zerbrochen und zu Staub verfallen
ist, bleiben seine
Bestandteile in verschiedenen Formen der
materiellen
Energie existent. Ebenso sind alle Aspekte der Schöpfung,
der Erhaltung und der
Vernichtung der kosmischen
Manifestation
nichts
anderes
als bestimmte
Manifestationen Meiner Energie. Und da
Meine Energie
nicht von Mir getrennt ist, kann
man daraus schließen,
daß Ich in allem gegenwärtig bin."
"Ebenso ist der Körper des Lebewesens nichts weiter als
eine Zusammensetzung aus diesen fünf
Elementen, und
das Lebewesen, das sich in dieser materiellen Bedingtheit
befindet, ist ebenfalls ein Teil von Mir. Das Lebewesen ist
der Gefangenschaft
der materiellen
Bedingtheit
unterworfen, weil es die falsche Vorstellung hat, selbst der
höchste Genießer zu sein. Diese
falsche Ich-Vorstellung
des Lebewesens ist die Ursache, daß es in die Bedingtheit
der materiellen Existenz gefallen ist.
Als die Höchste
Absolute Wahrheit bin
Ich transzendental zu den
Lebewesen und ihrer materiellen
Verkörperung. Diese
beiden Energien,
nämlich die
materielle und die
spirituelle, wirken unter Meiner höchsten Aufsicht. Meine
lieben gopis, Ich bitte euch, alles
in philosophischer
Haltung hinzunehmen, anstatt bekümmert zu
sein. Dann
werdet ihr verstehen, daß ihr immer bei Mir seid und daß
unsere Trennung keinen Grund zur Klage darstellt."
Diese wichtige Unterweisung, die Sri Krsna den gopis
gab, kann von allen
Gottgeweihten, die sich im
Krsna-Bewußtsein beschäftigen,
genutzt werden. Die
ganze Krsna-bewußte
Philosophie beruht
auf dem
unvorstellbaren gleichzeitigen Eins- und Verschiedensein
des Herrn mit allem, was existiert. In
der Bhagavad-gita
sagt Krsna, daß Er in Seinem
unpersönlichen Aspekt
überall gegenwärtig ist. Alles ist in Ihm, aber zugleich ist
Er nicht überall persönlich gegenwärtig.
Die kosmische
Manifestation ist nichts weiter als
eine Entfaltung von
Krsnas Energie,
und weil
die Energie vom
Energieursprung nicht verschieden ist,
ist nichts von
Krsna verschieden. Wenn es uns an
diesem absoluten
Bewußtsein, dem Krsna-Bewußtsein, fehlt,
sind wir von
Krsna getrennt; wenn wir
jedoch so glücklich sind,
Krsna-Bewußtsein entwickelt zu haben, sind
wir niemals
von Krsna getrennt. Der Vorgang des
hingebungsvollen
Dienstes besteht
in der
Wiedererweckung des
Krsna-Bewußtseins, und wenn der
Gottgeweihte in der
glücklichen Lage ist, zu verstehen,
daß die materielle
Energie nicht von Krsna
getrennt ist, weiß er
die
materielle Energie und ihre Erzeugnisse
im Dienst des
Herrn zu verwenden. Aber wenn das
Lebewesen, das
eigentlich
ein
Bestandteil
Krsnas ist,
sein
Krsna-Bewußtsein
vergißt,
beansprucht es
irrtümlicherweise die Stellung
des Genießers in der
materiellen Welt, und weil es sich dadurch nur noch mehr
in das Netz der materiellen Energie
verwickelt, wird es
durch diese Energie, maya, gezwungen,
weiterhin in der
materiellen Existenz gefangen zu bleiben. Dies wird in der
Bhagavad-gita bestätigt: Obwohl
es die materielle
Energie ist, die
dem Lebewesen
alle Tätigkeiten
aufzwingt, denkt der Mensch dennoch
irrtümlicherweise,
er sei das ein und alles und der höchste Genießer.
Wenn sich der
Gottgeweihte vollkommen darüber
bewußt ist, daß die arcavigraha,
die transzendentale
Bildgestalt Sri Krsnas im Tempel, genau
die gleiche
sac-cid-ananda-vigraha ist wie Krsna
Selbst, wird sein
Dienst für die transzendentale
Bildgestalt im Tempel zu
einem direkten Dienst für die
Höchste Persönlichkeit
Gottes. Genau wie die Bildgestalt,
so sind auch der
Tempel, die Tempeleinrichtung und die
Speisen, die der
Bildgestalt geopfert werden, nicht von
Krsna getrennt.
Man muß den Regeln und Vorschriften
der acaryas
folgen, denn dank dieser höheren Führung ist es möglich,
Krsna bereits in diesem Leben vollständig zu erkennen.
Nachdem die gopis von Krsna in
der Philosophie des
gleichzeitigen Eins- und Verschiedenseins
unterwiesen
worden waren, blieben sie immer im
Krsna-Bewußtsein
gefestigt und
wurden so von
aller materiellen
Verunreinigung
befreit.
Das
Bewußtsein eines
Lebewesens, das sich irrtümlicherweise für den Genießer
der materiellen Welt hält, wird
jiva-kosa genannt, was
soviel wie "Gefangensein
durch das falsche Ego"
bedeutet. Nicht nur die gopis,
sondern jeder, der diesen
Anweisungen Krsnas folgt,
wird sogleich aus der
jiva-kosa-Gefangenschaft
befreit. Ein
Mensch im
Krsna-Bewußtsein ist stets frei von
falscher Selbstsucht;
er verwendet alles in Krsnas Dienst
und ist niemals von
Krsna getrennt.
Die gopis beteten daher zu Krsna:
"Lieber Krsna, aus
Deinem Nabel wuchs die ursprüngliche
Lotosblume, der
Geburtsort Brahmas, des Schöpfers. Niemand kann Deine
Herrlichkeiten und Deine Füllen ermessen,
die deshalb
sogar für die tiefsinnigsten Menschen,
die Meister der
yoga-Kräfte, immer ein Geheimnis bleiben. Die bedingte
Seele, die in den
dunklen Brunnen des materiellen
Daseins gefallen ist, kann jedoch sehr leicht bei Sri Krsnas
Lotosfüßen Zuflucht suchen.
Tut sie das, ist ihre
Befreiung sicher." Die gopis fügten hinzu: "Lieber Krsna,
wir sind
ständig mit
unseren Familienpflichten
beschäftigt. Deshalb bitten wir Dich,
daß Du wie die
aufgehende Sonne in unserem Herzen
bleibst. Das wäre
für uns die allergrößte Segnung."
Die gopis sind ewig befreite
Seelen, denn sie sind
völlig Krsna-bewußt. Sie gaben nur
vor, in Vrndavana
von Haushaltspflichten gebunden zu sein.
Trotz ihrer
langen Trennung
von Krsna war
den gopis als
Bewohnerinnen Vrndavanas nichts daran
gelegen, dem
Herrn in Seine Hauptstadt Dvaraka zu folgen. Sie wollten
weiterhin in Vrndavana beschäftigt
bleiben und Seine
Anwesenheit dort in jedem Augenblick
ihres Lebens
erfahren. So luden sie Krsna sofort
ein, zurück nach
Vrndavana zu kommen. Diese
transzendentalen Gefühle,
die das Leben der gopis
charakterisieren, bilden die
Grundlage
der Lehren
Sri Caitanyas. Das
Ratha-yatra-Fest, das Sri Caitanya
veranstaltete, ist der
emotionale Vorgang,
um Krsna nach
Vrndavana
zurückzubringen. Srimati Radharani lehnte es
ab, mit
Krsna nach Dvaraka zu
gehen, um dort mit Ihm
zusammen in einer Umgebung königlichen Reichtums zu
leben, denn Sie wollte Sich Seiner
Gemeinschaft in der
ursprünglichen Atmosphäre Vrndavanas erfreuen.
Weil
Sri Krsna so tief mit den gopis verbunden ist,
verläßt Er
Vrndavana niemals, und so bleiben
die gopis und die
anderen Bewohner Vrndavanas immer auf der Ebene der
vollkommenen Zufriedenheit des Krsna-Bewußtseins.
Hiermit
enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen zum 81. Kapitel des Krsna-Buches:
"Krsnas und Balaramas Wiedersehen mit den Bewohnern von Vrndavana".