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Die Transzendentalen Spiele Sri Krishnas
Von Seiner Heiligkeit A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada

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52. Kapitel: Krsna entführt Rukmini


Als Krsna die Botschaft Rukminis vernommen hatte, war Er sehr erfreut. Er schüttelte dem brahmana die Hand und sagte: "Mein lieber brahmana, es freut Mich sehr, zu erfahren, wie sehr sich Rukmini wünscht, Mich zu heiraten, denn auch Ich sehne Mich danach, ihre Hand zu bekommen. Meine Gedanken weilen ständig bei der Tochter Bhismakas, und manchmal kann Ich nachts nicht schlafen, weil Ich an sie denken muß. Daß nun Rukminis älterer Bruder ihre Heirat mit Sisupala in die Wege geleitet hat, ist offensichtlich darauf zurückzuführen, daß er schon seit jeher einen Groll gegen Mich hegt. Deshalb bin Ich entschlossen, all diesen Fürsten eine gehörige Lektion zu erteilen. Genau wie man aus gewöhnlichem Holz das lichtspendende Feuer herausziehen kann, so werde Ich mit diesen dämonischen Fürsten kämpfen und aus ihrer Mitte Rukmini wie ein Feuer hervorbringen."

Weil Krsna erfahren hatte, daß Rukminis Heirat schon am nächsten Tag stattfinden sollte, war Er sehr bestrebt, schnellstens aufzubrechen. Er wies Seinen Wagenlenker Daruka an, die Pferde vor den Wagen zu spannen und alles für die Fahrt zum Königreich von Vidarbha vorzubereiten. Auf diesen Befehl hin brachte Daruka die vier Pferde herbei, die Krsna besonders bevorzugte. Diese Pferde werden im Padma Purana namentlich aufgeführt und beschrieben. Das erste hieß Saibya und war von grünlicher Farbe; das zweite, Sugriva, war grau wie Eis; das dritte, Meghapuspa, hatte die Farbe einer frischen Wolke, und das letzte, Balahaka, war aschfarben. Als der Wagen mit vorgespannten Pferden bereitstand, half Krsna dem brahmana beim Einsteigen und bot ihm den Sitz an Seiner Seite an. Sie ließen Dvaraka schnell hinter sich, und noch in derselben Nacht erreichten sie das Gebiet von Vidarbha. Das Königreich Dvaraka befindet sich im Westen Indiens, und Vidarbha liegt im nördlichen Teil. Die Entfernung zwischen den beiden Ländern beträgt nicht weniger als tausend Meilen, doch die Pferde waren so schnell, daß sie ihr Ziel, die Stadt Kundina in Vidarbha, innerhalb einer Nacht, d.h. in höchstens zwölf Stunden, erreichten.

König Bhismaka war nicht sehr angetan von dem Gedanken, seine Tochter Sisupala zur Frau zu geben, doch aus seiner überstarken Zuneigung zu seinem ältesten Sohn, der die Heirat vereinbart hatte, fühlte er sich verpflichtet, zuzustimmen. Weil es seine Pflicht war, ließ Bhismaka die ganze Stadt für das Hochzeitsfest herrichten, wobei er sich alle Mühe gab, das Fest zu einem großen Erfolg zu machen. Überall in den Straßen wurde Wasser versprengt, und die ganze Stadt wurde aufs sorgfältigste gereinigt. Weil Indien in der tropischen Zone liegt, hat es ein sehr trockenes Klima. Daher sammelt sich auf den Straßen ständig Staub an, so daß sie mindestens einmal täglich mit Wasser besprengt werden müssen, und in Großstädten wie Kalkutta sogar zweimal täglich. Die Straßen von Kundina wurden mit farbenprächtigen Fähnchen und Girlanden geschmückt, und an bestimmten Straßenkreuzungen errichtete man Torbögen. So zeigte sich die ganze Stadt von ihrer schönsten Seite, und der Anblick der Stadt wurde durch ihre Bewohner noch verschönert, denn sie alle trugen frische Kleider und hatten sich mit Sandelholzpaste, Perlenketten und Blumengirlanden geschmückt. Überall brannten Räucherstäbchen, und Düfte wie aguru erfüllten die Luft. Die Priester und brahmanas wurden ausgiebig gespeist und erhielten, wie es bei solchen Festen der Brauch war, viele Kostbarkeiten und Kühe als Geschenk, und danach begannen sie, vedische Hymnen zu chanten. Rukmini, die Tochter des Königs, war unvergleichlich hübsch. Sie war wohlgepflegt und hatte wunderschöne Zähne. Um ihr Handgelenk war das glückverheißende heilige Band geschlungen; dazu trug sie die verschiedensten Schmuckstücke aus Juwelen, und ihr ganzer Körper war in einen langen Sari aus Seide gehüllt. Gelehrte Priester chanteten schutzbringende mantras aus dem Sama Veda, dem Rg Veda und dem Yajur Veda. Als sie Opfergaben im Feuer darbrachten, um dem Einfluß von ungünstigen Gestirnkonstellationen entgegenzuwirken, chanteten sie mantras aus dem Atharva Veda.

König Bhismaka wußte sehr wohl, wie man sich bei solchen Zeremonien den brahmanas und Priestern gegenüber zu verhalten hat, und so ehrte er die brahmanas besonders, indem er ihnen große Mengen von Gold und Silber sowie mit Zuckersirup vermischtes Getreide und Kühe mit goldenem Zierat schenkte. Damaghosa, Sisupalas Vater, führte alle möglichen Rituale aus, um seiner Familie eine möglichst glückliche Zukunft zu sichern. Sisupalas Vater hieß Damaghosa, weil er für seine besondere Fähigkeit berühmt war, undisziplinierte Bürger niederzuzwingen. Dama bedeutet "bezwingen", und ghosa bedeutet "berühmt". Damaghosa war also dafür berühmt, die Bürger unter strenger Aufsicht zu halten. Deshalb hatte Damaghosa geplant, im Falle eines Versuches von Krsna, die Heiratszeremonie zu stören, mit seiner Streitmacht einzugreifen, um Ihn auf diese Weise niederzumachen. Nachdem er die verschiedenen glückbringenden Zeremonien durchgeführt hatte, sammelte er seine berühmten Madasravi-Legionen um sich und nahm überdies viele mit goldenen Ketten geschmückte Elefanten und zahlreiche Streitwagen und Pferde mit, die ähnlichen Prunk aufwiesen. Auf diese Weise machte sich Damaghosa zusammen mit seinem Sohn und anderen Freunden auf den Weg nach Kundina, und es erweckte fast den Eindruck, daß sie mehr die Absicht hatten, an einer Schlacht teilzunehmen als an einer Hochzeitszeremonie.

Als König Bhismaka erfuhr, daß Damaghosa und sein Gefolge sich Kundina näherten, verließ er die Stadt, um sie willkommen zu heißen. Vor dem Stadttor lagen viele Gärten, die für den Aufenthalt der Gäste gedacht waren. Nach vedischem Brauch ist es üblich, daß der Brautvater die Gefolgschaft des Bräutigams empfängt und sie für zwei bis drei Tage, bis zum Ende der Hochzeitszeremonie in einer gebührlichen Unterkunft bewirtet. Die Gefolgschaft, die von Damaghosa angeführt wurde, bestand aus Tausenden von Leuten, unter denen sich auch so berühmte Könige und Persönlichkeiten wie Jarasandha, Dantavakra, Viduratha und Paundraka befanden. Es war ein offenes Geheimnis, daß Rukmini eigentlich mit Krsna hätte verheiratet werden sollen, daß aber Rukmi, ihr ältester Bruder, ihre Heirat mit Sisupala beschlossen hatte. Es wurde auch gemunkelt, Rukmini habe heimlich einen Boten zu Krsna gesandt, und deshalb vermuteten die Soldaten, daß Krsna die Hochzeit vielleicht verhindern und Rukmini entführen würde. Die Soldaten hatten zwar nicht gerade das beste Gefühl dabei, doch sie alle waren bereit, Krsna einen harten Kampf zu liefern, um so zu verhindern, daß Er das Mädchen entführte. Inzwischen hatte Sri Balarama erfahren, daß Krsna, nur von einem brahmana begleitet, nach Kundina gefahren war, und als Er außerdem hörte, daß Sisupala dort mit einer gewaltigen Anzahl von Soldaten eingetroffen sei, befürchtete Er, daß sie Krsna angreifen könnten. Deshalb zog Er starke Truppen zusammen, die sich aus Streitwagen, Fußvolk, Reiterei und Elefanten zusammensetzten, und begab Sich damit vor die Stadt Kundina.

Rukmini wartete unterdessen sehnsüchtig in ihrem Palast auf Krsnas Ankunft, doch weder Er noch der brahmana dem sie die Botschaft anvertraut hatte, trafen ein. Rukmini wurde zutiefst beunruhigt, und sie begann, über ihre unglückliche Lage nachzudenken: "Es trennt mich jetzt nur noch eine Nacht vom Hochzeitstag, aber bisher sind weder der brahmana noch Syamasundara erschienen. Ich kann mir dies nicht erklären." Sie hatte schon fast alle Hoffnung verloren und dachte, sie habe vielleicht Krsnas Unmut erweckt, weshalb Er ihren freimütigen Antrag zurückgewiesen habe. Als Folge davon sei der brahmana vielleicht so enttäuscht gewesen, daß er gar nicht erst zurückkehren wollte. Doch obwohl Rukmini über die möglichen Gründe für das Fernbleiben Krsnas und des brahmana rätselte, erwartete sie dennoch jeden Augenblick ihre Ankunft.

Rukmini befürchtete des weiteren, daß Halbgötter wie Brahma, Siva und die Göttin Durga ihr möglicherweise die Gnade versagt hatten, denn es wird gesagt, daß die Halbgötter zornig werden, wenn man sie nicht richtig verehrt. Als Indra zum Beispiel einst merkte, daß die Einwohner von Vrndavana auf Krsnas Einspruch hin den Indra-yajna, das Opfer, das zu seinen Ehren ausgeführt werden sollte, abbrachen und für immer darauf verzichten wollten, wurde er sehr zornig und wollte sie bestrafen. Rukmini, die dies wußte, dachte deshalb, Siva oder Brahma seien böse auf sie geworden, weil sie sich nie viel um deren Verehrung gekümmert habe, und deshalb würden sie nun versuchen, ihren Plan zu durchkreuzen. Dazu befürchtete sie auch, daß sich die Göttin Durga, die Frau Sivas, der Seite ihres Mannes angeschlossen hatte. Siva wird auch als Rudra bezeichnet und seine Frau als Rudrani, was darauf hinweist, daß sie dazu neigen, andere in solche Verzweiflung zu stürzen, daß diese für immer weinen. Ebenso bezeichnete Rukmini die Göttin Durga in Gedanken als Girija, "die Tochter des Himalaya". Das Gebirge des Himalaya ist sehr kalt und hart, und Rukmini stellte sich die Göttin Durga als ebenso hartherzig und kalt vor. Auf diese Weise dachte Rukmini in ihrer Sehnsucht nach Krsna vorwurfsvoll an die verschiedenen Halbgötter, denn sie war trotz allem immer noch ein Kind. Die gopis verehrten einst die Göttin Katyayani, um Krsna als ihren Ehemann zu bekommen, und in ähnlicher Weise dachte auch Rukmini an die verschiedenen Halbgötter — nicht um von ihnen eine materielle Segnung zu erhalten, sondern in Beziehung zu Krsna. Zu den Halbgöttern um Krsnas Gunst zu beten ist durchaus nichts Unstatthaftes, und was Rukmini betrifft, so war sie völlig in Gedanken an Krsna vertieft.

Obwohl Rukmini sich mit dem Gedanken zu beruhigen versuchte, daß es für Govindas Ankunft noch nicht zu spät sei, hatte sie das Gefühl, als seien all ihre Hoffnungen vergeblich. Ohne sich irgend jemandem mitzuteilen, vergoß sie einfach Tränen, und als der Tränenstrom immer heftiger wurde, schloß sie hilflos die Augen. Während Rukmini tief in solche Gedanken versunken war, zeigten sich an mehreren Stellen ihres Körpers glückverheißende Symptome: An ihrem linken Augenlid und an ihren Armen und Schenkeln machte sich ein Zittern bemerkbar. Ein Zittern an diesen Stellen des Körpers weist darauf hin, daß etwas Erfreuliches zu erwarten ist.

Gerade in diesem Moment erblickte die verzweifelte Rukmini den brahmana, den sie als Boten ausgesandt hatte. Weil Krsna, die Überseele aller Lebewesen, gewußt hatte, daß sich Rukmini so große Sorgen machte, hatte Er den brahmana in den Palast geschickt, um sie von Seiner Ankunft zu unterrichten. Als Rukmini den brahmana sah, wußte sie das glückverheißende Zittern an ihrem Körper zu deuten und war unsagbar erleichtert und froh. Sie lächelte und fragte ihn, ob Krsna bereits angekommen sei, und der brahmana antwortete, daß der Sohn der Yadu-Dynastie, Sri Krsna, nun tatsächlich eingetroffen sei. Um sie weiter zu ermutigen, verriet er auch, daß Krsna versprochen habe, sie unter allen Umständen zu Sich zu holen. Rukmini war so froh über die Botschaft des brahmana, daß sie ihm alles schenken wollte, was sie besaß, doch als sie nichts finden konnte, was seiner würdig war, brachte sie ihm einfach ihre achtungsvollen Ehrerbietungen dar. Die Bedeutung des Darbringens von achtungsvollen Ehrerbietungen ist, daß man sich der geehrten Person aus Dankbarkeit verpflichtet fühlt. Auf diese Weise wollte Rukmini dem brahmana also zeigen, daß sie ihm ewig dankbar sein werde. Jeder, der die Gunst der Glücksgöttin erlangt, wie dieser brahmana, kann sich zweifellos stets materiellen Reichtums erfreuen.

Als König Bhismaka hörte, daß Krsna und Balarama angekommen seien, lud er Sie ein, der Hochzeitszeremonie seiner Tochter beizuwohnen. Auch sorgte er sogleich dafür, daß Sie und Ihre Soldaten in einem angemessenen Gartenhaus Quartier erhielten, und dann bot er Krsna und Balarama nach vedischer Sitte Honig und frische Gewänder an. Neben Krsna, Balarama und Königen wie Jarasandha bot er seine Gastfreundlichkeit auch noch vielen anderen Königen und Fürsten an, denen er allen entsprechend ihrer Stärke, ihrem Alter und ihrem materiellen Reichtum einen Empfang bereitete. Die Einwohner von Kundina, die es in ihrer Neugier kaum hatten erwarten können, Krsna und Balarama zu sehen, drängten sich um die beiden und tranken den Nektar Ihrer Schönheit. Mit tränenerfüllten Augen erwiesen sie Krsna und Balarama schweigend ihre Ehrerbietungen. Sie waren bezaubert von Sri Krsnas Gegenwart und sahen in Ihm den einzigen geeigneten Gemahl für Rukmini. Sie wünschten sich so sehr, Krsna und Rukmini vereint zu sehen, daß sie begannen, zur Persönlichkeit Gottes zu beten: "Lieber Herr, wenn wir jemals irgendwelche frommen Werke getan haben, die Dich erfreuten, dann sei bitte so gütig und nimm Rukmini zur Frau." Rukmini war offensichtlich eine sehr beliebte Prinzessin, denn alle Bürger wünschten ihr nur das Beste und richteten deshalb ihre Gebete an den Herrn. Inzwischen begab sich Rukmini, zauberhaft gekleidet und von vielen Leibwächtern bewacht, aus dem Palast, um den Tempel Ambikas, der Göttin Durga, zu besuchen.

Die Bildgestaltenverehrung im Tempel wird schon seit den Anfangen der vedischen Kultur durchgeführt. Es gibt jedoch eine Gruppe von Menschen, die in der Bhagavad-gita als veda-vada-rata bezeichnet werden, was bedeutet, daß sie nur an die vedischen Rituale glauben, jedoch nicht an die Verehrung im Tempel. Solche Toren sollten zur Kenntnis nehmen, daß bereits vor fünftausend Jahren, als Krsna Rukmini heiratete, Tempelverehrung üblich war. In der Bhagavad-gita erklärt der Herr: yanti dera-vrata devan. "Die Verehrer der Halbgötter gelangen in die Reiche der Halbgötter." Zu jener Zeit gab es viele Halbgottverehrer, aber auch viele, die direkt die Höchste Persönlichkeit Gottes verehrten. Die Halbgötter, die hauptsächlich verehrt wurden, waren Brahma, Siva, Ganesa, der Sonnengott und die Göttin Durga. Siva und die Göttin Durga wurden sogar von den königlichen Familien verehrt, wohingegen die untergeordneten Halbgötter nur von den unintelligenten Menschen niederer Herkunft verehrt wurden. Die brahmanas und Vaisnavas jedoch verehrten einzig und allein Sri Visnu, die Höchste Persönlichkeit Gottes. In der Bhagavad-gita wird die Verehrung der Halbgötter zwar verurteilt, jedoch nicht verboten. Es wird deutlich gesagt, daß nur die weniger intelligenten Menschen die verschiedenen Halbgötter um materieller Segnungen willen verehren. Auf der anderen Seite besuchte sogar Rukmini, obwohl sie die Glücksgöttin persönlich war, den Tempel Durgas, weil dort die Bildgestalt der Familie verehrt wurde. Im Srimad-Bhagavatam wird dazu erklärt, daß Rukmini auf ihrem Weg zum Tempel in ihrem Innern unablässig an die Lotosfüße Sri Krsnas dachte. Als Rukmini daher in den Tempel ging, tat sie dies nicht mit der gleichen Absicht wie ein gewöhnlicher Mensch, der nur dort hingeht, um sich materiellen Gewinn zu erbitten; ihr einziges Ziel war Krsna. Wenn die Menschen in den Tempel eines Halbgottes gehen, so ist letzten Endes trotzdem Krsna das Ziel der Verehrung, denn Er ist es, der die Halbgötter dazu ermächtigt, ihren Verehrern materielle Segnungen zu erteilen.

Als Rukmini zum Tempel ging, war sie sehr schweigsam und ernst. An ihrer Seite gingen ihre Mutter und ihre Freundin, und in der Mitte befand sich die Frau eines brahmana. Dazu wurde Rukmini von königlichen Leibwächtern begleitet. (Dieser Brauch, daß die Braut vor der Heirat in den Tempel eines Halbgottes geht, wird in Indien auch heute noch eingehalten.) Während der Prozession ertönten die verschiedensten Instrumente: Trommeln, Muschelhörner und Blasinstrumente verschiedenster Größen, wie zum Beispiel panavas, turyas und bheris. Die Klänge dieses Konzerts waren nicht nur glückverheißend, sondern auch sehr wohlklingend für das Ohr. Tausende von ehrwürdigen brahmana-Frauen waren zugegen, die sich mit ausgesuchtem Geschmeide geschmückt hatten. Sie reichten Rukmini Blumengirlanden, Sandelholzpaste und eine Vielzahl farbenprächtiger Gewänder, um ihr so bei der Verehrung Sivas und der Göttin Durga behilflich zu sein. Einige dieser Frauen schauten bereits auf ein langes Leben zurück und waren deshalb sehr erfahren im Chanten von Gebeten zu Durga und Siva. Gefolgt von Rukmini und den anderen, trugen sie den Bildgestalten Gebete vor.

Anschließend richtete Rukmini ihre Gebete an die Bildgestalt: "Meine liebe Göttin Durga, ich bringe dir wie auch deinen Kindern meine achtungsvollen Ehrerbietungen dar." Die Göttin Durga hat vier berühmte Kinder: zwei Töchter — die Glücksgöttin Laksmi und Sarasvati, die Göttin der Gelehrsamkeit — und zwei berühmte Söhne — Ganesa und Karttikeya —, die alle als Halbgötter und -göttinnen gelten. Weil die Göttin Durga immer zusammen mit ihren berühmten Kindern verehrt wird, erwies auch Rukmini der Bildgestalt auf diese Weise ihre achtungsvollen Ehrerbietungen; ihre Gebete jedoch waren völlig verschieden von den Gebeten gewöhnlicher Menschen. Die meisten Menschen beten zur Göttin Durga, um Reichtum, Ruhm, Gewinn, Stärke und viele andere solche materiellen Vorteile zu erhalten; Rukmini jedoch flehte Durga an, ihr gnädig zu sein und sie zu segnen, weil sie Krsna zum Gemahl haben wollte. Da sie sich niemand anderen als Krsna wünschte, war nichts Falsches daran, daß sie einen Halbgott verehrte. Während Rukmini ihr Gebet vortrug, brachte sie der Bildgestalt eine Vielzahl von Opfergaben dar, vor allem Wasser, Ghee-Lampen in verschiedener Form, Räucherstäbchen, Gewänder, Girlanden, verschiedene Speisen, die in Butterfett zubereitet worden waren, wie puris und kacauris, und dazu auch Früchte, Zuckerrohr, Betelnüsse und Gewürze. Mit großer Hingabe brachte Rukmini der Bildgestalt dies alles dar, wobei sie unter der Anleitung der alten brahmana-Frauen genau die vorgeschriebenen Regeln befolgte. Nach dieser Zeremonie boten die Frauen Rukmini die Reste der Speisen als prasada an, und Rukmini nahm sie ehrfürchtig zu sich. Darauf brachte sie den brahmana-Frauen und der Göttin Durga ihre respektvollen Ehrerbietungen dar, und da die Verehrung der Bildgestalten nun beendet war, faßte sie eine ihrer Freundinnen bei der Hand und verließ zusammen mit den anderen den Tempel.

Unterdessen hatten sich alle Fürsten und Besucher, die nach Kundina gekommen waren, um der Hochzeitszeremonie beizuwohnen, vor dem Tempel versammelt, um Rukmini zu sehen. Besonders die Fürsten waren begierig, Rukmini zu sehen, denn eigentlich hoffte jeder von ihnen, sie zur Frau zu bekommen. Als sie Rukmini tatsächlich erblickten, waren sie wie gebannt vor Erstaunen und meinten, sie müsse speziell vom Schöpfer geschaffen worden sein, um alle großen Helden und Fürsten zu verwirren. Ihr Körper war wohlgestaltet, und ihre Taille war schlank. Sie hatte hohe Wangen und rosa Lippen, und ihr liebliches Antlitz wurde durch ihre langen Locken und durch verschiedenartige Ohrringe noch verschönert. Um ihre Fußgelenke trug sie Juwelenanhänger. Die Ausstrahlung und die Schönheit Rukminis waren wie das Gemälde eines Künstlers, der die ideale Schönheit, wie sie von den größten Poeten beschrieben wird, darstellt. Rukminis Brüste wurden als "etwas erhoben" beschrieben, was darauf hinweist, daß sie noch ein junges Mädchen war, nicht älter als dreizehn oder vierzehn Jahre. Ihre Schönheit war ausschließlich dafür bestimmt, die Aufmerksamkeit Krsnas auf sich zu ziehen. Obwohl alle Prinzen sie wegen ihrer Schönheit anstarrten, war sie nicht im geringsten eitel. Ihre Augen huschten hin und her, und wenn sie mit der Einfachheit eines unschuldigen Mädchens lächelte, erstrahlten ihre Zähne wie Lotosblumen. In der Erwartung, daß Krsna jeden Augenblick erscheinen würde, schritt sie langsam dem Palast entgegen. Ihre Schritte waren wie die eines erhabenen Schwanes, und die Glöckchen an ihren Fußgelenken klingelten sanft.

So kam es, daß die versammelten adligen Fürsten beim Anblick von Rukminis Schönheit nur noch mit offenem Mund dastanden und fast das Bewußtsein verloren. Voller Lust begehrten sie, entgegen jeder Hoffnung, nach Rukminis Hand und verglichen dabei ihre eigene Schönheit mit der ihrigen. Srimati Rukmini jedoch beachtete keinen von ihnen. Im Innersten ihres Herzens wartete sie nur darauf, daß Krsna kommen und sie entführen würde. Dann, als sie die Schmuckstücke eines Fingers ihrer linken Hand zurechtrückte, warf sie zufällig einen Blick auf die Prinzen — und sah plötzlich Krsna mitten unter ihnen. Obwohl Rukmini Krsna niemals gesehen hatte, war sie immer in Gedanken bei Ihm gewesen, und so war es nicht schwierig für sie, Ihn unter den vielen Fürsten zu erkennen. Ohne Sich um die anwesenden Könige und Prinzen zu kümmern, ergriff Krsna sofort die Gelegenheit und hob Rukmini in Seinen Streitwagen, der durch eine Flagge mit dem Bild Garudas gekennzeichnet war. Sodann fuhr Er gemächlich, ohne jede Furcht, mit Rukmini davon, wie ein Löwe, der aus einer Meute von Schakalen ein Reh fortträgt. Währenddessen erschien Balarama mit den Soldaten der Yadu-Dynastie auf dem Schauplatz.

Jarasandha, der schon viele Male zuvor eine Niederlage von Krsna hatte hinnehmen müssen, brüllte mit sich überschlagender Stimme: "Das darf doch nicht wahr sein! Krsna entführt Rukmini vor unseren Augen, und keiner unternimmt etwas! Was nützt uns unser Heldenmut und unsere Waffenkraft, o ihr Prinzen, wenn wir einfach nur tatenlos zuschauen? Wir verlieren unser Ansehen, wenn wir es erlauben, daß ein Schakal die Beute des Löwen wegstiehlt."

Hiermit enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen zum 52. Kapitel des Krsna-Buches: "Krsna entführt Rukmini".