Als Krsna die Höhle betrat, folgte
Ihm Kalayavana,
wobei er Krsna mit groben Worten
beschimpfte. Das
erste, worauf der Dämon in der dunklen Höhle stieß, war
eine Gestalt, die schlafend am Boden lag. Kalayavana, der
sehr darauf brannte, mit Krsna zu
kämpfen, Ihn aber
nirgends finden konnte, dachte deshalb, es sei Krsna, der
vor ihm auf dem Höhlenboden
schlafe. Kalayavana war
so eingebildet und stolz auf seine
Stärke, daß er dachte,
Krsna scheue den Kampf mit ihm,
und weil er den
schlafenden Mann für Krsna hielt, versetzte er ihm einen
heftigen Tritt. Doch es war nicht Krsna, sondern jemand,
der schon seit langer Zeit in
der Höhle geschlafen hatte,
und als er nun von Kalayavana
getreten wurde und
aufwachte, öffnete er sogleich seine
Augen und sah sich
nach allen Seiten um.
Dann fiel sein Blick auf
Kalayavana, der in seiner Nähe stand. Der Schläfer war zu
unpassender Zeit geweckt worden, und daher war er sehr
zornig. Als er Kalayavana voller Zorn anblickte, schossen
Feuerstrahlen aus seinen Augen hervor,
und Kalayavana
wurde auf der Stelle zu Asche verbrannt.
Als Maharaja Pariksit
die Geschichte hörte, wie
Kalayavana zu Asche verbrannt wurde, wollte er Näheres
über den schlafenden Mann erfahren
und fragte deshalb
Sukadeva Gosvami: ,,Wer war er? Warum schlief er dort?
Wie war er zu solcher Kraft gelangt, daß allein sein Blick
genügte, um Kalayavana auf der
Stelle zu Asche zu
verbrennen? Und wie kam es, daß
er in einer Berghöhle
lag?" Maharaja Pariksit stellte viele Fragen, und Sukadeva
Gosvami beantwortete sie wie folgt:
,,Lieber König, dieser Mann wurde
in der berühmten
Familie König Iksvakus, in der auch
Sri Ramacandra
erschien, geboren, und er war der Sohn des großen Königs
Mandhata. Er selbst war auch eine große Seele, und man
kannte ihn überall unter dem Namen Mucukunda. König
Mucukunda befolgte
die vedischen
Prinzipien der
brahmanischen Kultur sehr strikt, und er stand zu seinem
Wort. Er war so mächtig, daß selbst Halbgötter wie Indra
zu ihm kamen und ihn baten, ihnen gütigerweise bei den
Kämpfen gegen die Dämonen zu helfen; deshalb kämpfte
er oft gegen die
Dämonen, um die
Halbgötter zu
beschützen."
Der Oberbefehlshaber
der Halbgötter namens
Karttikeya war sehr zufrieden mit
König Mucukundas
Hilfe, doch schließlich bat er den König, der so viele Beschwerlichkeiten in den Schlachten mit den Dämonen auf
sich genommen hatte, sich vom Kampf
zurückzuziehen
und sich auszuruhen. Karttikeya sprach:
"Mein lieber
König, du hast alles für die
Halbgötter geopfert. Du
regiertest über ein blühendes Königreich, das von keinem
Feind jemals bedroht wurde, doch du
hast dein Reich
zurückgelassen, hast dich weder um
deinen Reichtum
noch um deinen Besitz gekümmert und
hast nie an die
Erfüllung deiner persönlichen Wünsche
gedacht. In der
langen Zeit deiner Abwesenheit, da
du mit den Halbgöttern gegen die Dämonen gekämpft
hast, sind deine
Königinnen, deine Kinder, deine
Verwandten und deine
Minister alle gestorben. Die Zeit
macht vor keinem
Lebewesen halt. Selbst
wenn du nun nach Hause
zurückkehrtest, würdest
du dort niemanden
mehr
antreffen, der dich kennt. Die Zeit
ist sehr mächtig, und
unter ihrem Einfluß sind inzwischen all deine Verwandten
gestorben. Die Zeit ist ein
Repräsentant der Höchsten
Persönlichkeit Gottes, und deshalb ist
sie stärker als der
Stärkste. Der Einfluß der Zeit bewirkt ohne Schwierigkeit
auch die Veränderung des Feinstofflichen,
und niemand
kann den Vormarsch der Zeit
aufhalten. Genau wie der
Tierbändiger die Tiere nach seinem
Willen abrichtet,
greift die Zeit nach ihrem Willen in den Ablauf der Dinge
ein. Niemand kann den Beschluß der
erhabenen Zeit
aufheben."
Mit diesen Worten erklärten sich die Halbgötter bereit,
Mucukunda jegliche Segnung zu erfüllen,
die er sich
wünschte, mit Ausnahme der Segnung
der Befreiung.
Befreiung kann kein
anderes Lebewesen außer der
Höchsten Persönlichkeit Gottes, Visnu,
gewähren. Daher
heißt Visnu, oder Krsna, auch
Mukunda, "derjenige, der
Befreiung gewähren kann".
König Mucukunda hatte viele Jahre
lang nicht mehr
geschlafen, denn er hatte während der ganzen Zeit voller
Pflichtbewußtsein gekämpft. Er war sehr
müde, und als
die Halbgötter ihm eine
Segnung anboten, dachte
Mucukunda deshalb nur noch ans Schlafen. Er erwiderte:
"Lieber Karttikeya, bester unter den
Halbgöttern, ich
möchte mich nun schlafenlegen, und so erbitte ich von dir
folgende Segnung: Bitte gib mir die Macht, jeden, der es
wagt, meinen Schlaf zu stören und
mich zu früh zu
wecken, durch meinen bloßen Blick zu Asche zu verbrennen. Bitte gewähre mir diese Segnung." Der Halbgott war
einverstanden und gab ihm dazu auch die Segnung, daß er
sich ungestört und vollständig ausruhen
könne. Darauf
hatte sich König Mucukunda in die
Höhle dieses Berges
begeben.
Es war also auf die Macht von
Karttikeyas Segnung
zurückzuführen, daß Kalayavana
einfach nur durch
Mucukundas Blick zu Asche verbrannt
worden war.
Nachdem Kalayavana auf
diese Weise sein Ende
gefunden hatte, trat Krsna vor
König Mucukunda. In
Wirklichkeit hatte Sich Krsna in
die Höhle begeben, um
König Mucukunda zu erlösen, doch Er
hatte Sich dem
König nicht sogleich gezeigt, sondern
es so eingerichtet,
daß zuerst Kalayavana vor Mucukunda trat. Wenn Krsna,
die Höchste Persönlichkeit Gottes, eine
Tat vollbringt,
dann ist damit immer die Erfüllung vieler anderer Zwecke
verbunden. Er wollte König Mucukunda
aus seinem
Schlaf in der Höhle erlösen, und
zugleich wollte er Kalayavana töten, der die Stadt
Mathura angegriffen hatte.
Auf diese Weise erfüllte Er alle Seine Absichten.
Als Sri Krsna vor König Mucukunda
erschien, sah
dieser, daß der Herr in ein gelbes Gewand gekleidet war,
daß sich auf Seiner Brust das Srivatsa-Zeichen befand und
daß um Seinen Hals der
Kaustubha-mani hing. Krsna
zeigte Sich ihm als vierarmiger Visnu-murti; Er trug eine
vaijayanti-Girlande, die vom Hals bis hinunter zu Seinen
Knien reichte. Von Ihm ging ein helles Strahlen aus, und
ein bezauberndes Lächeln spielte auf Seinen Lippen, und
Er trug kunstvolle Juwelenohrringe. In dieser Erscheinung
sah Krsna schöner aus, als daß
es sich ein Mensch
vorstellen konnte, und dazu schenkte Er Mucukunda einen
leuchtenden Blick, der den König tief faszinierte. Obwohl
Krsna die Höchste Persönlichkeit Gottes war, der Älteste
von allen, sah Er wie ein
blühender Jüngling aus, und
Seine Bewegungen glichen denen
eines Hirsches im
Wald. Krsnas Erscheinung offenbarte
erhabene Macht,
und diese Macht ist so
unvergleichlich, daß sich jeder
Mensch vor Ihm fürchten sollte.
Als König Mucukunda Krsnas herrliche
Gestalt sah,
fragte er sich, wer dies wohl
sein mochte, und voller
Demut sprach er zum Herrn: "Mein
lieber Herr, darf ich
fragen, aus welchem Grunde Du in
diese Berghöhle
gekommen bist? Wer bist Du? Ich sehe, daß Deine Füße
zarten Lotosblumen gleichen. Wie konntest Du nur diesen
Wald emporkommen, der voller Gestrüpp und Dornen ist?
All dies verwundert mich sehr. Bist
Du vielleicht die
Höchste Persönlichkeit
Gottes, der
Mächtigste der
Mächtigen? Bist Du der Ursprung des
Lichts und des
Feuers? Bist Du vielleicht einer
der großen Halbgötter,
wie der Sonnengott, der Mondgott oder Indra, der König
des Himmels? Oder bist Du die
herrschende Gottheit
irgendeines anderen Planeten?"
Mucukunda wußte, daß jedes höhere
Planetensystem
von einem bestimmten Halbgott beherrscht
wird. Er war
nicht so unwissend wie die Menschen
von heute, die
denken, es gäbe nur auf dem
Planeten Erde Lebewesen
und alle anderen Planeten seien
unbewohnt. Die Frage
Mucukundas, ob Krsna die herrschende
Gottheit eines
anderen, ihm unbekannten Planeten sei,
war also nicht
unbegründet. Weil
König Mucukunda
ein reiner
Geweihter des Herrn war, erkannte
er sogleich, daß Sri
Krsna, der ihm in einer solch
herrlichen Gestalt er-
schienen war, nicht einer der Halbgötter sein konnte, die
über die materiellen Planeten herrschen.
Er mußte die
Höchste Persönlichkeit Gottes, Krsna,
sein, der Sich in
unzählige Visnu-Formen
erweitert. Somit erkannte
Mucukunda die Gestalt vor ihm als
Purusottama, Sri
Visnu. Dazu kam, daß
die tiefe Finsternis in
der
Berghöhle durch die Anwesenheit des
Herrn gewichen
war, und daher konnte die
wundervolle Gestalt niemand
anders sein als die
Höchste Persönlichkeit Gottes.
Mucukunda war sich nämlich darüber bewußt, daß überall
dort, wo der Herr durch Seinen transzendentalen Namen,
Seine Eigenschaften, Seine
Gestalt usw. persönlich
anwesend ist, die Dunkelheit der
Unwissenheit nicht
bestehen kann. Der Herr ist wie
eine Fackel in der
Dunkelheit; Er überflutet alles mit Licht.
König Mucukunda verlangte
es sehr danach, Sri
Krsnas Identität kennenzulernen, und deshalb sagte er: "O
Bester unter den Menschen, wenn Du
mich für würdig
erachtest, Deine Identität kennenzulernen,
so sage mir
bitte, wer Du bist. Wer sind
Deine Eltern, welcher
stellungsgemäßen Pflicht gehst Du nach,
und welcher
Familiendynastie gehörst Du an?" König Mucukunda hielt
es jedoch für
angebracht, sich selbst
dem Herrn
vorzustellen, denn vorher war er
nicht dazu berechtigt,
sich nach der Identität des Herrn zu erkundigen. Es ist vedische Sitte, daß man eine
höherstehende Person nicht
nach Rang und Namen fragen darf, ohne sich nicht zuvor
selbst vorgestellt zu haben. Deshalb sagte Mucukunda zu
Sri Krsna: "O Herr, erlaube bitte,
daß ich mich Dir
vorstelle. Ich gehöre
der berühmten Dynastie König
Iksvakus an, doch ich persönlich
bin nicht so bedeutend
wie mein Vorvater. Mein Name ist
Mucukunda, mein
Vater hieß Mandhata, und mein Großvater war der große
König Yuvanasva. Ich war von großer Müdigkeit befallen
worden, weil ich schon seit
Tausenden von Jahren nicht
mehr geschlafen
hatte; alle meine
Glieder waren
erschöpft, und ich konnte mich kaum mehr bewegen. Um
wieder zu Kräften zu kommen, legte
ich mich zum
Schlafen in diese abgelegene Höhle, doch nun bin ich von
einem Eindringling gewaltsam geweckt
worden, obwohl
ich noch gar nicht aufwachen
wollte. Wegen dieses
Vergehens habe ich ihn mit meinem
Blick zu Asche
verbrannt. Jetzt ist es mir
vergönnt, Dich in Deiner
herrlichen, würdevollen Gestalt zu sehen, und ich glaube
deshalb, daß es Dein Wille war,
der den Tod dieses
Feindes verursacht hat. O Herr, ich muß gestehen, daß die
Strahlen Deines Körpers meinen Augen unerträglich sind
und daß ich Dich deshalb nicht
richtig sehen kann. Im
Anblick Deiner leuchtenden Erscheinung
wird mir klar,
wie unbedeutend meine Macht und Kraft ist. O Herr, Du
bist würdig, von allen Lebewesen verehrt zu werden."
Als Sri Krsna sah, daß Mucukunda so begierig war zu
erfahren, wer Er war, entgegnete Er
lächelnd: "Mein
lieber König, es ist so gut
wie unmöglich, etwas über
Meine Geburt, Mein Erscheinen, Mein
Fortgehen und
Meine Taten zu erzählen. Wie du
vielleicht weißt, hat
Meine Inkarnation Anantadeva unzählige Münder, und er
versucht seit unvordenklichen Zeiten,
Meinen Namen,
Meinen Ruhm, Meine Eigenschaften, Meine Taten, Mein
Erscheinen, Mein Fortgehen und Meine
Inkarnationen
vollständig zu beschreiben, und doch
ist es ihm nicht
gelungen, ein Ende zu finden. Deshalb ist
es unmöglich,
sich vorzustellen, wie viele Namen
und Formen Ich
besitze. Die materiellen Wissenschaftler mögen vielleicht
in der Lage sein, die Anzahl der Atome zu berechnen, aus
denen die Erde besteht, doch es
wird ihnen niemals
gelingen, Meine zahllosen Namen, Formen und Taten zu
ermessen. Es gibt viele große Weise und Heilige, die versucht haben, eine Liste Meiner verschiedenen Formen und
Taten zusammenzutragen, doch auch ihnen
ist es nie
gelungen, eine vollständige Liste
aufzustellen. Weil du
aber so begierig bist, etwas über
Mich zu erfahren, will
Ich dir sagen, daß Ich gegenwärtig
auf diesem Planeten
erschienen bin, um die
dämonischen Prinzipien der
Menschen zu beseitigen und die religiösen Prinzipien, die
in den Veden vorgeschrieben sind,
wieder einzuführen.
Weil Mich Brahma, der höchste
Halbgott in diesem
Universum, gebeten hat, zu diesem
Zweck auf die Erde
herabzusteigen, bin Ich nun in der Dynastie der Yadus als
einer ihrer Abkömmlinge erschienen. Ich
habe in der
Yadu-Dynastie Vasudeva als Meinen Vater
auserkoren,
und deshalb kennen Mich die
Menschen als Vasudeva,
den Sohn Vasudevas. Des weiteren will Ich dir sagen, daß
Ich Kamsa, der in einem seiner früheren Leben Kalanemi
hieß, wie auch Pralambasura und
viele andere Dämonen
getötet habe. Sie verhielten sich Mir gegenüber als Feinde
und wurden allesamt von Mir vernichtet. Der Dämon, der
vor dir gestanden hat, hatte sich
ebenfalls als Feind
aufgeführt, doch du hast ihn
gütigerweise durch deinen
Blick zu Asche verbrannt. Mein lieber König Mucukunda,
du bist ein großer Geweihter von
Mir, und nur um dir
Meine grundlose Barmherzigkeit zu
erweisen, bin Ich in
dieser Höhle erschienen. Ich bin Meinen Geweihten sehr
zugetan, und weil du bereits in deinem vorangegangenen
Leben ein großer Gottgeweihter warst
und um Meine
grundlose Barmherzigkeit gebetet hast, bin Ich nun zu dir
gekommen, um dir deinen Wunsch zu erfüllen. Nun siehst
du Mich von Angesicht zu Angesicht,
wie es dein Herz
begehrte. Mein lieber König, du
kannst Mich um jede
Segnung bitten, die du dir wünschst, denn Ich bin bereit,
dir alles zu gewähren. Es ist
Mir ein ewiger Grundsatz,
jedem, der sich in Meine Obhut
begibt, durch Meine
Gnade alle Wünsche zu erfüllen."
Als Sri Krsna König Mucukunda eine Bitte freistellte,
wurde der König von
Freude überwältigt, denn er
erinnerte sich plötzlich an die
Vorhersage Gargamunis,
der vor langer Zeit prophezeit hatte, Sri Krsna
werde im
achtundzwanzigsten Zeitalter von Vaivasvata
Manu auf
dem Erdplaneten erscheinen. Als ihm diese Prophezeiung
einfiel, wurde ihm sofort klar, daß
die Höchste Person,
Narayana, nun als Sri Krsna vor ihm
gegenwärtig war.
Auf der Stelle fiel er zu
Seinen Lotosfüßen nieder und
brachte Ihm seine Gebete dar:
"O Herr, o Höchste
Persönlichkeit Gottes, ich weiß, daß
alle Lebewesen auf
diesem Planeten durch Deine äußere
Energie verblendet
und von
der
illusorischen
Zufriedenheit der
Sinnenbefriedigung bezaubert sind. Weil
sie völlig in
illusorische Tätigkeiten vertieft sind, widerstrebt es ihnen,
Deine Lotosfüße zu verehren, und da sie nichts von dem
Segen wissen, den man erfährt, wenn
man sich Deinen
Lotosfüßen ergibt, sind sie den verschiedensten leidvollen
Bedingungen des materiellen
Daseins ausgesetzt. Sie
hängen törichterweise
an sogenannter Gesellschaft,
Freundschaft und Liebe, aus denen lediglich verschiedene
Arten leidvoller Zustände entstehen. Von Deiner äußeren
Energie getäuscht, ist jeder, ob
Mann oder Frau, ans
materielle Dasein angehaftet, und alle
betrügen einander
in einer großangelegten Gesellschaft von
Betrügern und
Betrogenen. Diese törichten Menschen wissen das Glück,
daß sie die menschliche Lebensform erlangt haben, nicht
zu schätzen und wollen Deine
Lotosfüße nicht verehren.
Unter dem Einfluß Deiner äußeren Energie haften sie am
Glanz materieller Tätigkeiten. Sie haften
an sogenannter
Gesellschaft, Freundschaft und Liebe und gleichen in diesem Zustand unwissenden Tieren, die
in ein dunkles
Brunnenloch gefallen sind." Auf Feldern und Weiden gibt
es manchmal Brunnen, die seit Jahren nicht mehr benutzt
wurden und daher von Gras überwuchert worden sind. Oft
fallen bedauernswerte Tiere, die nichts
davon wissen, in
solche Brunnenlöcher hinein und müssen
dort sterben,
wenn man sie nicht herauszieht.
Verlockt von ein paar
Grashalmen, fallen sie in den
finsteren Brunnen und
sterben eines elenden Todes. Ebenso
ruinieren törichte
Menschen, die die
Bedeutung der menschlichen
Lebensform nicht kennen, ihr Leben,
indem sie der
Befriedigung ihrer Sinne nachjagen, und
sterben, ohne
irgend etwas Sinnvolles erreicht zu haben.
"Lieber Herr", fuhr Mucukunda fort,
"auch ich bilde
keine Ausnahme für
dieses universale Gesetz der
materiellen Natur. Ich gehöre ebenfalls zu diesen törichten
Menschen, die ihre Zeit für nichts
verschwendet haben,
und meine Lage ist besonders
bedenklich, denn weil ich
dem königlichen Stand angehörte, war
ich hochmütiger
als gewöhnliche Menschen. Ein
gewöhnlicher Mensch
sieht sich als der Besitzer und Beherrscher seines Körpers
oder seiner
Familie, und ich
hatte die gleiche
Geisteshaltung, nur in einem viel
größeren Maßstab. Ich
wollte Herr über die ganze Welt
werden, und als mit
meinen Plänen zur Sinnenbefriedigung mein
Hochmut
immer größer wurde, verstärkte sich
auch meine körperliche Lebensauffassung mehr und mehr. Meine Anhaftung
an Haus, Frau und Kinder, Geld und Herrschaft über die
Welt vertiefte sich immer mehr, und sie kannte schließlich
keine Grenzen mehr. Daher kreisten alle meine Gedanken
nur noch um die Angelegenheiten
meines materiellen
Lebens. "
"Daher, o Herr, habe
ich bereits so viel
meiner
wertvollen Lebensdauer sinnlos verschwendet.
Weil sich
meine falschen Vorstellungen vom Leben
immer mehr
verdichteten, hielt ich meinen
materiellen Körper, der
doch nichts weiter ist als ein
Sack aus Fleisch und
Knochen, für das ein und alles,
und in meiner Eitelkeit
bildete ich mir ein, ich sei
der König der Menschheit
geworden. Mit dieser falschen,
körperlichen Auffassung
vom Leben begann ich, mit meiner
Streitmacht von
Soldaten, Streitwagen, Elefanten und
Reitern über die
ganze Welt zu ziehen. Unterstützt
von vielen Generälen
und stolz wegen meiner materiellen Macht, war ich nicht
imstande, Dich, o Herr, zu erkennen, der Du stets als der
beste Freund in meinem Herzen weilst. Ich
wollte nichts
von Dir wissen, und das war
der grundlegende Fehler
meiner sogenannten erhabenen materiellen
Stellung. Ich
glaube, daß sich, gleich mir, alle
Menschen nicht im
geringsten um spirituelle Erkenntnis
bemühen, sondern
ständig voller Ängste sind und denken: ,Was soll ich tun?
Was kommt morgen auf mich zu?'
Und weil wir von
materiellen Wünschen straff gefesselt werden, fahren wir
fort, ein wahnsinniges Leben zu führen."
"Aber obwohl wir so sehr in
materielle Gedanken
vertieft sind, kommt die unausweichliche
Zeit, die nur
eine Deiner vielen Formen ist,
stets gewissenhaft ihrer
Pflicht nach, und sowie
unsere Frist abgelaufen ist,
beendest Du, o Herr, unsere
materiellen Träume. In der
Form des Zeitfaktors gebietest Du all unseren Tätigkeiten
Einhalt, gleich der hungrigen Python, die ohne Nachsicht
eine kleine Maus mit einem Bissen verschlingt. Durch die
Macht der grausamen
Zeit geschieht es, daß
der
königliche Körper,
der einst stets
mit goldenem
Geschmeide geschmückt war
und der von einem
Streitwagen gezogen wurde, vor den
elegante Pferde
gespannt waren,
oder der von
einem mit Gold
geschmückten Elefanten getragen wurde — dieser Körper,
den man als König der
gesamten Menschheit pries,
verfällt und zersetzt
sich unter dem Einfluß
der
unausweichlichen Zeit und wird entweder
ein Fraß für
Würmer und Insekten oder wird zu Asche verbrannt oder
verwandelt sich in den Kot eines
Tieres. Dieser bewunderte Körper mag im
lebenden Zustand sehr schön
erscheinen, doch nach dem Tod wird
selbst der Körper
eines Königs von einem Tier
gefressen und verwandelt
sich so zu Kot, oder er wird
auf einem Leichenfeuer
verbrannt und verwandelt sich so zu Asche, oder er wird
in ein Grab gelegt, so daß nach einiger Zeit Würmer und
Insekten aus ihm hervorkriechen."
"Lieber Herr, wir sind nicht nur zur Stunde des Todes
der Herrschaft der unausweichlichen Zeit
unterworfen,
sondern auch, in unterschiedlicher Form, bereits während
des ganzen Lebens. Ich mag zum
Beispiel ein mächtiger
König sein, doch wenn ich als Welteneroberer nach Hause
zurückkehre, gerate ich dennoch unter die verschiedensten
materiellen Umstände. Es ist zwar möglich, daß bei einer
siegreichen Rückkehr alle
unterworfenen Könige vor
mich treten und mir ihre
Ehrerbietungen erweisen, doch
wenn ich mich dann ins Innere des Palastes zurückziehe,
werde ich ein Spielzeug in den
Händen der Königinnen
und muß der Sinnenbefriedigung willen Frauen zu Füßen
fallen. Die materielle Existenz ist so verwickelt, daß man,
bevor man aus dem materiellen Leben
einen Genuß
ziehen kann, so schwer arbeiten
muß, daß einem kaum
einmal die Möglichkeit bleibt, etwas
zu genießen. Und
wenn man einen jugendlichen Körper
mit all den damit
verbundenen materiellen Vorteilen erlangen
will, muß
man sich schwere Entsagungen und Bußen auferlegen, um
sich auf die himmlischen Planeten
zu erheben. Selbst
wenn man das Glück hat, in
einer reichen oder königlichen Familie geboren zu werden,
muß man sich
fortgesetzt um die Erhaltung des eigenen Lebensstandards
bemühen und sich auf das nächste
Leben vorbereiten,
indem man die
verschiedensten Opfer ausführt und
Spenden verteilt. Selbst als König
ist man ständig voller
Sorgen, nicht nur der politischen
Verwaltung wegen,
sondern auch wegen des Wunsches, auf die himmlischen
Planeten erhoben zu werden."
"Es ist also
sehr schwierig,
der materiellen
Verstrickung zu entkommen, doch wenn
man irgendwie
von Dir begünstigt wird, erhält man
allein durch Deine
Barmherzigkeit
die
Möglichkeit,
einen reinen
Gottgeweihten zu treffen. Dies bildet den Anfang für die
Befreiung aus der Verstrickung des
materiellen Lebens.
Lieber Herr, nur durch die
Gemeinschaft mit reinen
Gottgeweihten ist es möglich, sich Dir zu nähern, der Du
der Herr der materiellen und der spirituellen Welt bist. Du
bist das höchste Ziel aller reinen
Gottgeweihten, und
wenn man sich in
der Gemeinschaft dieser reinen
Gottgeweihten befindet, kann man seine
schlummernde
Liebe zu
Dir
wiedererwecken.
Deshalb ist
Krsna-Bewußtsein, das in
der Gemeinschaft reiner
Gottgeweihter kultiviert wird, die Kraft, die uns aus dieser
materiellen Verstrickung befreit "
"Lieber Herr, Du bist
unsagbar barmherzig, denn
obwohl ich unwillig
war, die Gemeinschaft großer
Gottgeweihter aufzusuchen, hast Du mir
Deine grenzenlose Barmherzigkeit erwiesen, nur weil
ich einmal eine
kurze Begegnung mit einem reinen
Gottgeweihten wie
Gargamuni gehabt habe. Allein durch
Deine grundlose
Barmherzigkeit habe ich allen materiellen Reichtum, mein
Königreich und meine Familie verloren. Ich glaube nicht,
daß ich ohne Deine grundlose Barmherzigkeit jemals von
all diesen Verstrickungen hätte frei werden können."
"Könige und Fürsten unterziehen sich manchmal einem
Leben der Entsagung, um die Zeit
ihres königlichen
Daseins zu vergessen, doch weil Du mir Deine besondere
grundlose Barmherzigkeit gezeigt hast,
habe ich mein
Leben als König bereits hinter mir lassen können. Andere
Könige bemühen sich, der Anhaftung an Königreich und
Familie zu entkommen, indem sie die Mühseligkeiten der
Entsagung auf
sich nehmen, doch
durch Deine
Barmherzigkeit brauche ich nicht erst ein Bettelmönch zu
werden oder Entsagung zu üben."
"Lieber Herr, ich bete
deshalb, einfach nur im
transzendentalen liebevollen Dienst zu Deinen Lotosfüßen
beschäftigt sein zu dürfen. Dies
ist der einzige Wunsch
Deiner reinen Geweihten,
die von aller materiellen
Verunreinigung befreit sind.
Du bist die Höchste
Persönlichkeit Gottes, und Du kannst mir alles geben, was
ich möchte, sogar Befreiung. Doch wer könnte so dumm
sein, daß er Dich, nachdem er Dich erfreut hat, noch um
etwas bittet, was zu
weiterer Verstrickung in der
materiellen Welt führt?
Ich glaube nicht, daß
ein
vernünftiger Mensch Dich um solch eine
Segnung bitten
würde. Deshalb ergebe ich mich Deinen Lotosfüßen, denn
Du bist die Höchste Persönlichkeit Gottes, die
Überseele
im Herzen eines jeden sowie auch
die unpersönliche
Brahman-Ausstrahlung. Darüber hinaus bist
Du auch die
materielle Welt, denn diese materielle
Welt ist lediglich
die Manifestation Deiner äußeren Energie. Daher bist Du
die höchste Zuflucht eines jeden, unabhängig davon, von
welchem Gesichtspunkt aus man Dich
betrachtet. Jeder,
ob er sich auf der materiellen
oder auf der spirituellen
Ebene befindet, muß bei Deinen
Lotosfüßen Zuflucht
suchen. Daher gebe ich mich Dir
hin, o Herr. Während
unvorstellbar vieler Leben habe ich
mich unter dem
Einfluß der dreifachen Leiden des
materiellen Daseins
befunden, und ich bin
dessen nun müde geworden.
Nachdem ich
einfach nur von
meinen Sinnen
umhergetrieben worden bin,
ohne daß ich jemals
Zufriedenheit gefunden hätte, suche ich nun Zuflucht bei
Deinen Lotosfüßen, die der Ursprung
aller friedvollen
Lebensumstände sind und die alles
Wehklagen, das auf
materieller Verunreinigung beruht,
beseitigen. Lieber
Herr, Du bist die Überseele eines jeden, und Dein Wissen
ist unbegrenzt. Ich bin nun von
der Verunreinigung der
materiellen Wünsche befreit worden. Ich
möchte weder
die materielle Welt genießen noch mit Deiner spirituellen
Ausstrahlung verschmelzen, noch möchte ich über Deinen
lokalisierten Paramatma-Aspekt
meditieren, denn ich
weiß, daß ich völligen Frieden und
Gleichmut erlangen
werde, wenn ich einfach bei Dir Zuflucht suche."
Nachdem König Mucukunda sein Gebet beendet hatte,
erwiderte Sri Krsna: "Mein lieber König, Ich freue Mich
sehr über deine Worte. Du warst einstmals der Herrscher
über alle Länder der Erde, und daher überrascht es mich,
daß dein Geist nun von aller
materiellen Verunreinigung
völlig frei ist. Du bist nun in der Lage, hingebungsvollen
Dienst auszuführen. Ich bin vor
allem deswegen sehr
zufrieden, weil
du Mich nicht
um irgendwelche
materiellen Vorteile gebeten hast, als Ich dir anbot, jeden
Deiner Wünsche zu erfüllen. Ich weiß, daß dein Geist nun
fest auf Mich gerichtet ist und
von keiner materiellen
Unvollkommenheit mehr beeinträchtigt wird."
"Es gibt drei materielle
Erscheinungsweisen: Tugend,
Leidenschaft und Unwissenheit. Wenn man
sich unter
dem gemischten
Einfluß von
Leidenschaft und
Unwissenheit befindet, wird man aufgrund von Unreinheit
und lustvollen
Wünschen dazu
getrieben, in der
materiellen Welt nach
Annehmlichkeiten zu streben.
Wenn man
sich jedoch
in der materiellen
Erscheinungsweise der Tugend befindet,
versucht man,
sich durch Bußen und Opfer zu läutern. Hat man dann die
Stufe eines echten
brahmana erreicht, trachtet man
danach, in die Existenz des Herrn einzugehen. Doch wenn
jemand nur noch den Lotosfüßen des
Höchsten Herrn
dienen will, so befindet er sich
auf einer Stufe, die
transzendental
zu
allen
drei materiellen
Erscheinungsweisen ist. Ein
reiner Gottgeweihter im
Krsna-Bewußtsein ist daher
immer frei von allen
materiellen Erscheinungsweisen. Mein lieber
König, als
Ich dir die Gelegenheit
gab, dir irgend etwas zu
wünschen, tat Ich dies nur, um zu prüfen, wie weit du im
hingebungsvollen Dienst fortgeschritten bist.
Jetzt weiß
Ich, daß du auf der Stufe der reinen Gottgeweihten stehst,
denn dein Geist wird weder durch
materielle Wünsche
noch durch Gier oder Lust agitiert.
Die yogis hingegen,
die versuchen, sich durch Sinnenbeherrschung zu erheben,
oder die mit Hilfe der Atemübungen des pranayama über
Mich meditieren, sind
nicht so gründlich von
allen
materiellen Wünschen
befreit. Es ist
schon oft
vorgekommen, daß solche yogis schon bei der geringsten
Verlockung wieder auf die materielle
Ebene gefallen
sind."
Ein anschauliches
Beispiel für
ein solches
Zufallkommen ist Visvamitra Muni. Er
war ein großer
yogi, der seit langer Zeit
pranayama, die Kunst der
Atemübung, praktiziert hatte, doch als
er von Menaka,
einem Gesellschaftsmädchen der himmlischen
Planeten,
besucht wurde, verlor
er jegliche Beherrschung und
zeugte mit ihr eine
Tochter namens Sakuntala. Im
Gegensatz dazu wurde der reine
Gottgeweihte Haridasa Thakura niemals in seiner Ruhe
gestört, nicht einmal
dann, als ihn verschiedene Prostituierte
zu verführen
versuchten.
"Mein lieber König", fuhr Sri Krsna fort, "Ich gebe dir
die besondere Segnung, daß du immer
an Mich denken
wirst. Auf diese Weise wirst du die materielle Welt leicht
hinter dir lassen
können, ohne von den
materiellen
Erscheinungsweisen verunreinigt zu werden."
Der Herr
bestätigt mit dieser Aussage, daß jemand, der in wahrem
Krsna-Bewußtsein verankert ist
und sich unter der
Führung des spirituellen Meisters im
liebevollen Dienst
des Herrn beschäftigt,
niemals von den materiellen
Erscheinungsweisen verunreinigt wird.
Der Herr fuhr fort: "Mein lieber
König, weil du ein
ksatriya bist, hast du die Sünde
begangen, Tiere zu
schlachten —sowohl auf der Jagd als auch bei politischen
Unternehmungen. Um davon gereinigt zu
werden, mußt
du einfach bhakti-yoga praktizieren und
deinen Geist
ausschließlich auf Mich richten. So
wirst du schon sehr
bald von allen Reaktionen
auf solche widerwärtigen
Tätigkeiten befreit sein." Aus dieser Aussage geht hervor,
daß es den ksatriyas zwar erlaubt
ist, während der Jagd
Tiere zu töten, daß sie aber
trotzdem nicht von den
Reaktionen auf solche sündhaften Tätigkeiten befreit sind.
Daher ist es letztlich unwichtig,
ob man ksatriya, vaisya
oder brahmana ist, denn jedem wird empfohlen, am Ende
seines Lebens sannyasa anzunehmen, um sich völlig dem
Dienst des Herrn zu
widmen und somit von
allen
sündhaften Reaktionen seines Lebens frei zu werden.
Darauf versicherte der Herr König
Mucukunda: "In
deinem nächsten Leben
wirst du als erstklassiger
Vaisnava, der beste der brahmanas, geboren werden, und
in diesem Leben wirst du
ausschließlich in Meinem
transzendentalen Dienst tätig sein." Ein
Vaisnava ist ein
brahmana ersten Ranges, denn jemand,
der nicht die
Eigenschaften eines echten brahmana erworben hat, kann
kein Vaisnava werden.
Wenn man die Stufe eines
Vaisnavas erreicht, ist man nur
noch für das Wohl aller
Lebewesen tätig. Die
höchste Wohltätigkeit für alle
Lebewesen ist das Predigen von
Krsna-Bewußtsein. Sri
Krsna weist mit Seiner
Aussage darauf hin, daß
diejenigen, die Seine besondere Gunst bekommen haben,
vollkommenes Krsna-Bewußtsein
erlangen und im
Verbreiten und
Predigen der Vaisnava-Philosophie
beschäftigt werden.
Hiermit
enden die Bhaktivedanta-Erläuterungen zum 50. Kapitel des Krsna-Buches:
"Die Erlösung Mucukundas".