Walter Eidlitz

Walter Eidlitz
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Walter Eidlitz. Foto, 1928.
 
Eidlitz, Walter, born in Vienna, Aug. 28, 1892, died in Vayholm (Sweden), Aug. 28, 1976, poet, narrative writer and dramatist. 1938-1946 and 1950/51 lived in India, where he studied Hinduism; from 1952 lived in Sweden; his work focused on ethical and religious questions; devoted himself to the history of Indian thought in his later works ("Die indische Gottesliebe", 1955).
Works: Poetry: Der goldene Wind, 1918. - Novels: Zodiak, 1930; Das Licht der Welt, 1932. - Novella trilogy: Die Gewaltigen, 1926. - Drama: Der Berg in der Wüste, 1923.


Eidlitz, Walter, * 28. 8. 1892 Wien, † 28. 8. 1976 Vayholm (Schweden), Lyriker, Erzähler und Dramatiker. Lebte 1938-46 und 1950/51 in Indien, wo er sich mit dem Hinduismus beschäftigte; ab 1952 in Schweden; im Zentrum seines Werks stehen ethisch-religiöse Fragen; in seinem Spätwerk widmet er sich dem Studium der indischen Geistesgeschichte ("Die indische Gottesliebe", 1955).
Werke: Lyrik: Der goldene Wind, 1918. - Romane: Zodiak, 1930; Das Licht der Welt, 1932. - Novellentrilogie: Die Gewaltigen, 1926. - Drama: Der Berg in der Wüste, 1923.

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Unknown India
Indische Gottesliebe
Der Sinn des Lebens
Bhakta - Eine indische Odysee
Glauben und die heiligen Schriften der Inder


Auszug aus:  "Die indische Gottesliebe", 1955

Bekanntlich ist erst in den Jahren 1801 und 1802 im Abendland die erste Übersetzung der Upanishaden erschienen. Vorher war die grosse, wunderbare Welt der indischen Erfahrung des Unvergänglichen im Westen noch fast unbekannt. Auch die weite Welt des Buddhismus war noch verborgen. Seither haben sich eine grosse Anzahl europäischer und amerikanischer Gelehrter emsig bemüht, die alten indischen Urkunden zu erforschen, zu zergliedern, textkritisch zu analysieren und zu datieren. Ihr Werk füllt ganze Bibliotheken. Insbesondere mit der Advaita Lehre des grossen indischen Philosophen Shankaracharya (etwa 800 nach Christus) hat sich die abendländische Indologie in solchem Ausmass befasst, dass die Mehrzahl der Menschen im Westen, die sich für indische Geistigkeit interessieren, bewusst oder unbewusst, Shankaracharyas System, seine Deutung der Upanishaden, für die indische Philosophie ansehen.

In den letzten Jahrzehnten hat man auch begonnen, sich mit den bedeutenden Lehrsystemen zu beschäftigen, die im Mittelalter der Philosophie Shankaracharyas entgegengestellt wurden, mit der Verkündigung einiger Meister der indischen Gottesliebe (bhakti), zum Beispiel Ramanuja (geboren 1027), Madhva (1199-1278) und so weiter. Doch eine der wesentlichsten Strömungen des uralten indischen Theismus, die Traditionsfolge der Gottesliebe, mit der sich Krishna Chaitanya (1486 - 1533) verband, ist seltsamerweise trotz einiger verdienstlicher Hinweise im Abendland bisher noch fast unbekannt geblieben. Nur ein ganz geringer Bruchteil der ungeahnt reichen Literatur dieser Bewegung ward bisher übersetzt.

Der Autor hatte sich ursprünglich die Aufgabe gestellt, aufgrund der zahlreichen Originalquellen in Sanskrit und Altbengali eine Lebensgeschichte Krishna Chaitanyas zu schreiben, des Mannes, dessen Leben und Verkündigung in seinem Heimatland seit über vier Jahrhunderten "der geheime Schatz Indiens" genannt wird.

Doch als der Verfasser nach gründlicher Vorbereitung ans Werk ging, merkte er, dass es unmöglich ist, diesen erstaunlichen Lebenslauf einem abendländischen Leserkreis darzustellen, wenn nicht zuerst der geistige Raum anschaulich gemacht wird, in dem sich das Leben Krishna Chaitanyas und seiner Jünger abspielt. Es ergab sich die Notwendigkeit, die Gottesoffenbarung aufzuzeigen, die das Herz dieser Gottgeweihten bewegt, und die Ströme der mehrtausendjährigen Tradition, in denen sie stehen und aus denen sie schöpfen.

So kam es zu dem vorliegenden Buch, das von der Indischen Gottesliebe im Sinne Krishna Chaitanyas handelt.

Dem Verfasser war vergönnt, sich nicht nur auf Buchwissen und Studium der Originaltexte und der mittelalterlichen Kommentare zum Bhagavata-Purana und anderer heiliger Schriften der Bhakti beschränken zu müssen; er durfte auch während seines vieljährigen wiederholten Aufenthaltes in Indien einigen hervorragenden Vertretern der Gottesliebe aus der Strömung Krishna Chaitanyas freundschaftlich nahe kommen. In seinem Buche "BHAKTA, eine indische Odyssee", Claassen, Hamburg 1951, hat er über das menschliche Erleben dieser Jahre in Indien berichtet. Das Wort 'Bhakta' bedeutet Gottgeweihter.

In der vorliegenden Schrift wird der Versuch unternommen, darzulegen, wie die Angehörigen der Strömung Krishna Chaitanyas seit alters her das Unvergängliche erleben und wie sie den Inhalt der Veden und Upanishaden, der Bhagavad-gita und Puranas, vor allem des Bhagavata- Puranas und anderer indischer heiliger Schriften auffassen.

Es handelt sich um eine der streng theistischen Traditionsfolgen (sampradaya) innerhalb der uralten, weitverzweigten religiösen Strömung der indischen Vaishnavas. Das Sanskritwort 'vaisnava' bedeutet: dem Vishnu (visnu) zugehörig, dem "Allschauenden", "Alltragenden", der als "stiller Zeuge" in jedem Herzen weilt und der sich als Krishna offenbarte. Das für Traditionsfolge angewendete Wort sam-pra-daya kann folgendermassen übersetzt werden: Unverfälscht, treu (sam) weiter (pra) geben (daya). Die indische Definition für eine derartige Traditionsfolge oder Sampradaya lautet: "Weitergegeben wird jene Offenbarung, die einstmals von Gott selbst erteilt wurde. Und diejenigen, die in nie abreissender Kette die Offenbarung weiterleiten, sind grosse Meister, die nicht nur die treue Überlieferung der Wahrheit von ihrem Guru empfingen, sondern in ihrer eigenen Seele selbst immer wieder von neuem die Erfahrung der ewigen Wahrheit gemacht haben."

Der bedeutendste Vertreter dieser Strömung der indischen Gottesliebe, die im Lande Gau¤a, dem heutigen Bengalen, zur grössten Blüte gelangte, ist Krishna Chaitanya. Was der Verfasser in langen Jahren des Lernens und Lauschens unter kundiger Führung von seinem Guru Swami Sadananda und dessen Freunden erfahren hat und was er sehr lückenhaft wiederzugeben versucht, weicht oftmals beträchtlich von den derzeitigen Anschauungen der modernen Religionswissenschaft ab. Unter anderem wird zum Beispiel die übliche unter dem Einfluss Shankaracharyas entstandene Einteilung der Upanishaden in klassische und sektiererische, innerhalb dieser Strömung keineswegs anerkannt1, ebensowenig die derzeit im Westen herrschenden Annahmen über die Entstehung und Datierung des sogenannten "vedischen Schrifttums."

Die Inder sind kein Volk der Schrift. Obwohl die Kunst des Schreibens im indischen Kulturkreis sehr alt ist, wurde diese Fertigkeit durch viele Jahrhunderte, ja wahrscheinlich durch Jahrtausende, bloss für Handelsgeschäfte, Rechtsangelegenheiten und andere profane Zwecke angewendet. Doch die Geheimlehre vom Unvergänglichen wurde in Indien durch unübersehbare Zeit nicht schriftlich fixiert, sondern in mündlicher Überlieferung vom Mund des Gurus, des Geisteslehrers, zum lauschenden Ohr des Schülers weitergegeben.

Upanishaden und Puranas sind voll von Berichten, wie ein sehnsüchtig Strebender einen Guru aufsucht, von diesem in mannigfaltiger Weise geprüft wird und erst nach bestandener Erprobung als Schüler angenommen wird.

So wie die Bibel, das Alte und das Neue Testament, durchrankt ist von der Aufzählung physischer Geschlechterfolgen, die von Adam bis zu Jesus von Nazareth führen, so sind die indischen heiligen Texte durchrankt von den Aufzählungen geistiger Geschlechterfolgen, von den langen Namenreihen aufeinander folgender Gurus und ihrer Schüler, die dann selbst wieder zu Gurus werden und das geheime Geistesgut ihrem vertrauten Schüler weitergeben.

Die am Schluss der Brihad-Aranyaka-Upanishad, der im Wald erteilten grossen geheimen Unterweisung, angeführte Namenreihe zählt nicht weniger als zweiundfünfzig Namen aufeinander folgender Gurus auf. An anderer Stelle derselben Upanishad wird der Schüler angewiesen, er möge nach dem Singen des Gayatri-Mantras die Namen der aufeinander folgenden Lehrer in der Gurufolge andächtig vor sich hinmurmeln... So wichtig erscheint dem upanishadischen Seher, dass sich der Schüler jeweils mit der Macht der lebendigen Tradition verbindet, dass er in fünfmaliger feierlicher Wiederholung dort ausspricht: "Sogar an einem trockenen Holzstumpf würden dadurch Zweige entstehen und Blätter daraus hervorsprossen" (Brihad-Aranyaka-Upanishad 6, 3; 7 - 12). Die Gurureihen dieser Upanishad, von denen eine aus frühester Vorzeit durch weite Zeiträume bis zu dem kastenlosen Jungen Satyakama Jabala führt, der dann selbst ein grosser Guru wird, ist mit diesem nicht zu Ende. Sie verzweigt sich und führt durch weitere Jahrtausende bis in unsere Tage. Auch die verschwisterten Gurureihen, deren Anfangsglieder in der Bhagavadgita und in den Puranas angeführt werden, leiten lückenlos weiter bis in unsere Zeit. Es wird behauptet, dass es in Indien seit dem vedischen Zeitalter niemals eine Generation gegeben habe, da nicht einige Gurus das Unvergängliche in all seiner Realität erlebten und ihren Schülern eröffneten. Indien befindet sich heute in einem grossen Umbruch. Seit der Verfasser im Frühjahr 1938 zum ersten Mal den Boden Indiens betrat, hat sich dort unerwartet viel verändert. Eine scheinbar unerschütterlich gegründete Ordnung, die noch an die Lebensweise des Mittelalters gemahnte, ist im Verlauf weniger Jahre in weiten Kreisen in die hektische Lebensart einer chaotisierten modernen Welt übergegangen mit all unserer Unruhe und Ratlosigkeit. Entwurzelt stürzen sich aufgeschreckte Menschenmassen in die Arme eines missverstandenen Materialismus, Atheismus, Kommunismus. Andere werfen sich in die Arme wilden Aberglaubens. Ein Gott wird gesucht, der Brot gibt und Lippenstifte und freien Kinobesuch.

Auch über die Traditionsströme des uralten indischen Theismus türmt sich der Schutt des Umbruchs, aber einzelne grosse Gurus leben und wirken noch. Deshalb wird hier der Versuch gewagt, ehe es vielleicht zu spät ist, einiges aus dem Leben der mündlichen Überlieferung darzustellen; doch nicht wie es üblich ist, von aussen her kritisch und analysierend betrachtet; es wird vielmehr angestrebt, ein bisher wenig bekanntes Gebiet indischer Mystik derart darzustellen, wie es mit den Augen der indischen Seele gesehen wird.

Hie und da wird auf verschwisterte Stellen aus den Evangelien und aus dem Alten Testament und auf Worte von christlichen Mystikern hingedeutet. Es wird auch aufgezeigt, wie der indische Gottgeweihte auf die Evangelien hinblickt. Das geschieht aber keineswegs, um indische und christliche Mystiker gegeneinander auszuspielen und auch nicht, um die Unterschiede zu verwischen und die viel verbreitete Meinung zu bestärken, die mystische Erfahrung des Unvergänglichen sei überall die gleiche. — Die Gottschauung der indischen Bhakti kennt Erfahrungen, die der abendländischen Mystik fremd sind. — Die angewendeten Assoziationen aus unserem Kulturkreis sollen bloss dazu helfen, dem Leser den Zugang zu dem ungewohnten Erleben der indischen Gottesmystik zu eröffnen.

Schon Betty Heimann hat in ihrem Werk "Studien zur Eigenart des indischen Denkens"2 betont: "Indien stellt den Indologen all und überall vor die verzweifelt schwere Aufgabe, sich von den geläufigen westlichen Denknormen zu lösen... Der übliche Forscherweg des Intellekts und der Logik führt nicht in das Herz der indischen Erfahrung und in die Erkenntnis des unvergänglichen Seins hinein, so wie es in den Berichten der Veden und Upanishaden geschildert wird."

1Die Chaitanya-Bhaktas zählen z. B. auch die Gopala-Tapaniya-Upanishad, Nrisimha-Purva- Tapaniya-Upanishad und Nrisimha- Uttara-Tapaniya-Upanishad zu den Hauptupanishaden. 2Tübingen 1930

Das Blickfeld des vorliegenden Werkes beschränkt sich auf die Krishna-Bhakti, die Gottesliebe, wie sie vorzugsweise im Bhagavata-Purana und in der Strömung Krishna Chaitanyas zu Tage tritt. Wenn von Gottgeweihten, von Bhaktas die Rede ist, werden fast ausschliesslich Gottgeweihte in der Nachfolge Krishna Chaitanyas gemeint. Andere grosse Bereiche der Krishna-Bhakti und die Gottesliebe der vielen, die in Indien den EINEN, den Höchsten, als Rama, als Shiva, als Grosse Mutter und so weiter verehren, liegen fast jenseits des Horizonts.

In den Anfangskapiteln kommen manche ungewohnte Namen und Begriffe vor. Aber die Andeutung der Vielschichtigkeit einzelner Schlüsselworte der Sanskritsprache erwies sich als notwendig, um die Tiefe der später wiedergegebenen Texte aus der indischen Gottesliebe einigermassen ahnen zu lassen.

Bei den Übersetzungen aus den Upanishaden habe ich bestehende Übertragungen zu Rate gezogen und nach Vergleichung mit dem Urtext teilweise angewendet3. Die übrigen Übersetzungen aus der Bhagavadgita, dem Bhagavata-Purana und anderen Schriften der indischen Gottesliebe, vor allem der Literatur der Chaitanya-Bewegung, sind vom Verfasser. Nur jemand, der selbst einmal sich bemüht hat, Sanskrittexte aus dem indischen Mittelalter in eine europäische Sprache zu übertragen, kann die Schwierigkeiten ermessen, die sich aus der Vieldeutigkeit des Ausdrucks ergeben. Zuweilen wurden zur Aufhellung des Sinns Stellen aus alten Kommentaren in Klammern eingefügt.

Die Entstehung dieses Buches wäre nie möglich gewesen ohne die unschätzbare Hilfe und Mitarbeit meines Freundes und Lehrers, Swami Sadananda (Dr. phil. Ernst Georg Schulze). Auch in den Jahren, da Lehrer und Schüler räumlich getrennt waren, hat diese Hilfe nie ausgesetzt. Ungezählte Luftpostsendungen mit wertvollem Material sind in dieser Zeit aus Bengalen und Orissa und Benares zu mir nach Schweden gekommen. Sadananda sei hier von ganzem Herzen Dank gesagt. Und ebenso meiner Frau, die mir in all den Jahren unermüdlich und aufopferungsvoll als Mitarbeiterin beistand.

Diese Arbeit verdankt ihre Entstehung auch der stetigen Ermunterung und dem Vertrauen von Professor Ernst Arbman, Stockholm. Auch ihm sei an dieser Stelle warmer Dank ausgesprochen. Mein Dank gilt auch den vielen hilfreichen Menschen in den indischen Staaten Westbengalen, Orissa und Uttar-Pradesh, die mir während meines letzten Studienaufenthalts in Indien in mannigfaltiger Weise beistanden.

Bergslund, Schweden, Sommer 1955 W. E.